Finster und kalt ist es in dieser Dezembernacht. Nebelschwaden ziehen durch die dunklen Häuserschluchten. Ein junges Paar ist noch unterwegs, die Frau hochschwanger und am Ende ihrer Kräfte. Die beiden suchen für die Nacht eine Herberge in Bethlehem - Berns multikulturellstem Stadtteil.
Mit diesen Szenen beginnt die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel, die in Bern-Bethlehem alle zwei Jahre von den Bewohnern des Quartiers als Krippenspiel inszeniert wird.
Die römisch-katholische und die reformierte Kirchgemeinde spannen jeweils zusammen und studieren eine neue Inszenierung der biblischen Erzählung ein. Um die zwanzig Laien übernehmen die Rollen von Maria und Josef, der Heiligen drei Könige, der Hirten und Engel.
Anspannung und Vorfreude
Vor der Aufführung herrscht bereits am Nachmittag Hochbetrieb in der katholischen Kirche St. Mauritius. Die reformierte Pfarrerin kleidet gerade einen Hirten in sein Gewand. Ihr katholischer Kollege bespricht letzte Anweisungen mit dem Regisseur. Maria ist der Rock zu lang, Josefs Turban sitzt noch schief und der Engel sucht nach den Leuchtdioden, die sein Gewand zieren sollen.
Die Anspannung ist greifbar, denn dieses Jahr machen viele junge Neulinge mit. Da ist die Ruhe und Erfahrung der alten Hasen umso mehr gefragt. Regisseur Martin Gallati weiss, wie man die Nervosität bändigt, um der Vorfreude Platz zu machen. Er spielt mit den Laiendarstellern die sechs Szenen noch einmal durch, die sie bald draussen vor Publikum geben werden.
Und wir?
Vor der Kirche haben sich mittlerweile mehrere hunderte Menschen versammelt. Die Schar ist bunt gemischt, wie das Quartier. Die meisten halten eine brennende Kerze in der Hand - ein wenig Licht und Wärme an diesem garstigen Winterabend.
Eine Frau trägt eine Standarte mit einem grossen, hell leuchtenden Stern auf den Platz vor der Kirche und macht sich auf den Weg. Ihr folgen hunderte kleine Kerzenlichter durch die nächtlichen Strassen zu den sechs Orten im Quartier, an denen die Szenen der Weihnachtsgeschichte dargestellt werden. Erzähler begleiten die Zuschauer durch die pantomimisch dargestellte Geschichte.
Vor einem der Hochhäuser im Tscharnergut spielt die Szene, in der Maria und Josef vergeblich nach einer Bleibe für die Nacht suchen. Abweisend und kalt wirkt der riesige Wohnblock, vor dem die Szene spielt. Da und dort blinkt grell eine Weihnachtsbeleuchtung an einem Balkongeländer, ein paar Fenster sind hell erleuchtet, doch viele sind schwarz.
"Und wir? Würden wir wildfremde Menschen aufnehmen, wenn sie einfach so mitten in der Nacht bei uns anklopften?", fragt die warme Stimme des Erzählers in die Nacht hinaus, wo die kleinen Kerzenlichter in der Bise flackern und die Kälte langsam die Beine der Zuschauer hochkriecht.
Ein Dach über dem Kopf
Ein Dach über dem Kopf haben in Bern-Bethlehem Menschen aus aller Herren Länder gefunden. Ob sie sich auch aufgenommen fühlten, mag eine andere Frage sein.
Über 34 Prozent beträgt der Ausländeranteil im Stadtteil VI, zu dem neben Bethlehem auch Bümpliz gehört. Die Arbeitslosigkeit ist überdurchschnittlich hoch.
Der Stadtteil im Westen Berns ist keine vornehme Adresse. Hier wohnt man, weil es noch bezahlbare Wohnungen gibt. Hochhaussiedlungen prägen das Bild: Tscharnergut, Gäbelbach, Holenacker und wie sie alle heissen. Rund 35'000 Menschen leben im Quartier - eine kleine Stadt am Stadtrand von Bern.
Der Name Bethlehem erinnert an die Weihnachtsgeschichte im Lukas-Evangelium. Ausgeschlossen ist ein religiöser Bezug des Namens nicht. Doch Etymologen sind auch auf eine Umschreibung als"Bethelhem" gestossen. Sie könnte auf den Namen Berchtold verweisen, den Stadtgründer von Bern. Möglich ist auch, dass die Gemeinde früher viele arme Niedergelassene hatte und "Bettelheim" genannt wurde.
Das Krippenspiel, so hat man den Eindruck, bringt die Menschen im Quartier zusammen. Während man von einem Spielort zum nächsten wandert, parlieren die Menschen miteinander in unterschiedlichsten Sprachen, man ist freundschaftlich verbunden und kann sich - zumindest für einen Moment - aufgenommen fühlen.
Die Weihnachtsgeschichte passe gut nach Bern-Bethlehem, findet der katholische Seelsorger Joel Eschmann, der das Krippenspiel mitorganisiert. Denn: die Weihnachtsgeschichte handle von einfachen Menschen, die vor Gott Gnade gefunden hätten.
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