Prozess Tod vor "Dead End": Für Angeklagten Unfall, für Zeugen ein Angriff

SDA

14.11.2017 - 17:48

Das Regionalgericht Bern-Mittelland beschäftigt sich seit Dienstagmorgen mit dem mutmasslichen Tötungsdelikt von Dezember 2016 vor dem Berner "Dead End"-Club. Der Angeklagte spricht von einem Unfall. Der Kollege des verstorbenen Türstehers will hingegen einen Angriff gesehen haben.

Vor Gericht steht ein 34-jähriger Somalier. Ihm wirft die Anklage vor, am frühen Morgen des 4. Dezember 2016 mehrmals mit einer Schere auf einen 32-jährigen Schweizer eingestochen zu haben. Dies auf der Henkerbrünnli-Kreuzung, wo sich der "Dead End"-Club befindet. Diese Bar gehört zur Berner Notschlafstelle.

Der Schweizer arbeitete als Türsteher fürs "Dead End", stand aber in dieser Nacht nicht im Dienst. Er rauchte vor dem Club eine Zigarette zusammen mit dem im Dienst stehenden Türsteher, als der Somalier auftauchte, nicht zum ersten Mal in dieser Nacht.

Wie der diensthabende Türsteher am Dienstag als Zeuge vor Gericht aussagte, soll der Somalier die beiden unter anderem als Rassisten beschimpft haben, weil er keinen Zugang zum Club erhielt. Letzterer ist prinzipiell nur Mitgliedern zugänglich.

Als der Somalier nicht habe aufhören wollen mit Schimpfen, sei sein Kollege die Treppe hinabgegangen, um mit dem Schimpfenden "auf Augenhöhe" zu sprechen, so der Zeuge. Der Somalier sei aber weggegangen und sein Kollege ihm über den Fussgängerstreifen gefolgt.

Dort habe der Kollege dem Somalier etwas hinterher gerufen, was er nicht verstanden habe. In der Folge habe der Somalier unvermittelt umgedreht und sei direkt auf den Schweizer los. Der Somalier habe den ersten Faustschlag gegeben. Danach sei es zu einem Gerangel gekommen.

Er habe gesehen, wie der Somalier von oben herab auf den Schweizer eingeschlagen habe - mit einem Schlagverhalten, das auf einen Gegenstand in der Hand hindeute. Er habe aber keinen Gegenstand gesehen, sage der Zeuge.

Schliesslich verschwand der Somalier, und der Schweizer torkelte über den Fussgängerstreifen zurück in Richtung "Dead End", wo er schwer verletzt liegen blieb. Drei Tage später starb er im Spital an einem Stich, der durch den Schädel hindurch bis zum Hirn vordrang und dort eine Blutung und eine Schwellung verursachte.

Insgesamt sieben Stiche zählten die Rechtsmediziner am Kopf und Oberkörper des Schweizers. Beide - Schweizer und Somalier - hatten Alkohol und Drogen konsumiert.

Vorwurf vorsätzliche Tötung

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Somalier vorsätzliche Tötung sowie mehrere weitere, aber weniger gewichtige Straftaten vor. Der Somalier selber sprach am Dienstag bei seiner Befragung von einem Unfall an diesem Sonntagmorgen um zirka 7.45 Uhr.

Es sei zwar jeweils schon "ein Problem", wenn er Alkohol konsumiert habe, gab er zu. Wenn er alkoholisiert sei und provoziert werde, neige er zu Sachbeschädigungen. Er greife aber niemanden an. Der Schweizer habe ihn angegriffen; er sei wohl "in die Schere gefallen", die er gerade in der Hand gehabt habe. Diese brauche er, um seine Kokainpfeife auszukratzen.

"Es war ein aktives Handeln und kein Unfall", sagte dazu der im Dienst stehende Türsteher als Zeuge. Und die Rechtsmediziner sagen laut dem Gerichtspräsidenten, die Darstellung des Angeklagten sei aus fachlicher Sicht "nicht nachvollziehbar".

Urteil am Freitag

Der grossgewachsene, kräftige Somalier sitzt bereits im vorzeitigen Strafvollzug. Der Prozess gegen ihn geht am Mittwoch mit den Plädoyers weiter. Die Urteilsverkündigung ist für Freitag vorgesehen.

Der Vater zweier Kinder wirkte am Dienstag auf Prozessbeobachter widersprüchlich. So gab er etwa einerseits zu, viele Fehler gemacht zu haben und bat bei der Familie des Verstorbenen um Entschuldigung. Anderseits bestritt er eben ein aktives Handeln.

Einmal bezeichnete er die Schweiz als gutes Land. Dann wiederum äusserte er plötzlich Vorwürfe wegen einer angeblichen Vergiftung des Meers vor Somalia.

Der Mann kam laut dem Gerichtspräsidenten 2008 als Asylsuchender in die Schweiz. Sein Gesuch wurde abgelehnt, doch durfte er bleiben. Die Behörden hielten es für unzumutbar, ihn nach Somalia auszuschaffen. Sie drohten aber 2014 damit, es dennoch zu tun, sollte er weiterhin delinquieren.

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