Prozess Parteien streiten über Gutachten in Luzerner Missbrauchs-Prozess

kad, sda

3.3.2021 - 14:43

Vor dem Luzerner Kantonsgericht ist eine Gutachterin ausführlich zu sexuellen Neigungen eines Beschuldigten befragt worden. (Archivbild)
Vor dem Luzerner Kantonsgericht ist eine Gutachterin ausführlich zu sexuellen Neigungen eines Beschuldigten befragt worden. (Archivbild)
Keystone

Weil er zwei Mädchen sexuell missbraucht haben soll, stand ein 49-jähriger Mann am Mittwoch vor dem Luzerner Kantonsgericht. Die Vorinstanz hatte ihn zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, die Berufungsverhandlung drehte sich um psychiatrische Massnahmen und um Gutachten.

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Ins Rollen gebracht hatte den Fall die einst beste Freundin der Stieftochter des Beschuldigten. Diese verbrachte viel Zeit bei dessen Familie, ihre Eltern entdeckten später einschlägige Chat-Nachrichten, die der Beschuldige ihr geschickt hatte.

Die damals Minderjährige soll der Mann unter anderem auf einer Lastwagenfahrt sexuell missbraucht haben. Seine Stieftochter soll er mehrfach vergewaltigt haben. Diese bestätigte den Missbrauch zuerst, widerrief die Anschuldigungen aber später.

Dennoch hatte das Kriminalgericht 2019 den Beschuldigten unter anderem wegen Vergewaltigung und sexueller Handlung mit Kindern zu fünf Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Es ordnete eine ambulante psychotherapeutisch Behandlung und zehn Jahre Landesverweis für den Deutschen an.

«Schwierige Beurteilung»

Dagegen legte der Beschuldigte Berufung ein. Die Vorwürfe bestritt er und verlangte einen Freispruch. Auch die Staatsanwaltschaft ging in Berufung. Sie hatte sieben Jahre Gefängnis und eine stationäre Massnahme gefordert, weil der Mann laut Gutachten pädophil sei.

Weil der der erste Gutachter davon ausgegangen war, dass sich die ersten sexuellen Übergriffe bereits 2010 ereigneten, verlangte das Kantonsgericht ein neues Gutachten. Die zweite Gutachterin sprach vor Gericht von einer «schwierigen Beurteilung», weil sie sich nur auf die Akten stützen konnte. Der Beschuldigte habe ihr gegenüber keinen Einblick in seine sexuellen Wünsche gegeben.

Das Gutachten basiert auf den ihm vorgeworfenen Taten. Der Beschuldigte selber sagte denn auch, er könne sich nicht damit identifizieren. «Ich weiss, dass ich nichts verbrochen habe. Ich kann das überhaupt nicht auf mich beziehen.» Die genannte psychischen Erkrankungen treffe bei ihm nicht zu, es sei «Blödsinn».

Hebephilie

Die Gutachterin kam zum Schluss, dass der Mann unter einer Nebenströmung einer Hebephilie leide. Er fühle sich vom pubertären Körperschema angezogen, könne aber auch in einer legalen sexuellen Beziehung Befriedigung finden. Es liege eine mittelschwere Störung vor.

Die Gutachterin empfahl «eher eine stationäre Therapie», weil man bei nicht geständigen Tätern mit einer ambulante Massnahme nirgendwo hin komme. Es sei aber ein Grenzfall, da der Mann sozial sowie beruflich keine Defizite habe.

Der Verteidiger lehnte eine therapeutische Massnahme ab. Er sprach von einer «Verdachtsdiagnose». Sie sei nicht nachvollziehbar begründet. Überdies liege keine schwere Störung vor, was Grundvoraussetzung für eine Massnahme wäre.

«Blosse Kriminalität»

Sehe das Gericht dies anders, wäre höchstens eine ambulante Therapie anzuordnen, erklärte der Verteidiger. Im Sinne der Verhältnismässigkeit müsse die mildeste Massnahme getroffen werden. Habe sein Mandant die Taten denn begangen, seien nicht psychische Gründe verantwortlich. «Es ist blosse Kriminalität», sagte der Anwalt.

Die Staatsanwältin dagegen sagte: «Es ist an der Zeit, dem Beschuldigten den Spiegel vorzuhalten und ihn der geeigneten Therapie zuzuführen.» Das Gutachten zeige, dass eine stationäre Massnahme das einzig zielführende und richtige Mittel sei.

Der Beschuldigte sitze seit über drei Jahren untherapiert in Haft. Es bleibe nicht mehr viel Zeit für eine psychologische Behandlung. Der Beschuldigte benötige die Strukturen eines Massnahmenzentrums, und seine Familie brauche die nötige Distanz zu ihm.

Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt schriftlich eröffnet.