Ausstellung Der junge Henry Dunant als kolonialer Verwalter in Algerien

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10.11.2021 - 11:09

Das Henry-Dunant-Museum in Heiden richtet in einer Doppelausstellung den Fokus auf Algerien während der Kolonialherrschaft Frankreichs. Zwischen 1830 und 1962 verfolgten dort Schweizer Handelsgesellschaften und Privatpersonen wirtschaftliche Interessen – unter ihnen der junge Henry Dunant.

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Der Gründer des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK), der seine letzten 18 Jahre in Heiden AR verbrachte, gilt vor allem als Humanist. Weniger bekannt sei die Tatsache, dass der Genfer als junger Mann in den 1850er und 1860er Jahren als Kolonisator in Algerien aktiv war, schreibt das Dunant-Museum.

Als 25-Jähriger reiste er im Auftrag der «Genfer Handelsgesellschaft der Schweizer Kolonien von Sétif» nach Nordafrika. Die Gesellschaft hatte im Jahr 1853 von der französischen Regierung ein Grundstück nahe der Kleinstadt Sétif erworben. Dunant sollte helfen, dieses für mehrere hundert Schweizer Siedler nutzbar zu machen.

In der Ausstellung ist beispielsweise ein Plan zu sehen, der den Prototyp der Steinhäuser zeigt, wie sie für die «Villages Suisses» bei Sétif geplant waren. Dunants Reise markiere «den Beginn seiner Tätigkeit als kolonialer Verwalter und gescheiterter Geschäftsmann, die ihn prägen und ein Leben lang belasten wird», heisst es.

Kolonisator, Kaufmann, Ethnograf

Die kompakte Ausstellung in der Glasveranda des «Dunant Plaza», einer Zwischennutzung im ehemaligen Hotel Krone, porträtiert Dunant in drei Stationen – als Kolonisator, als kolonialer Unternehmer und als Ethnograf. Sie geht der Frage nach, wie das koloniale Wirken zu Dunants philanthropischem Weltbild passte.

Die in Zusammenarbeit mit der Kulturwissenschaftlerin Ina Boesch konzipierte Schau ordnet Dunants algerische Zeit ein im Kontext des «Orient-Fiebers», dem Europa seit 1800 verfallen war und das bis heute nachwirke, wie das Museum schreibt.

Hundert Jahre nach Henry Dunant reiste ein Genfer Vermessungsingenieur nach Algerien: der Grossvater der 1992 geborenen Genfer Künstlerin Camille Kaiser. Ausgangspunkt ihrer Ausstellung «Et l'histoire commence ici» (Und die Geschichte beginnt hier) sind Fragmente aus Kaisers Familienarchiv.

Familiengeschichten von Camille Kaiser

Diese Erinnerungen – Fotos, Karten und Briefe aus den 1950-er Jahren – dokumentieren die Arbeit des Grossvaters als Topograph in französischen Kolonien in Nordafrika. Im Mittelpunkt steht eine Videoarbeit: Die collageartige filmische Erzählung basiert auf einem Brief des Grossvaters von 1959 an seine zukünftige Frau.

Darin verflechte Camille Kaiser Fakten aus Karten, Fotografien und Briefen mit Erinnerungen von Familienmitgliedern, heisst es. Vieles bleibt fragmentarisch und muss imaginiert werden. Kleinste Objekte wie Briefmarken liefern dabei Hinweise auf den geschichtlichen und politischen Kontext jener Zeit.

Das Henry-Dunant-Museum wird 2021 umgebaut. Es gastiert deshalb vorübergehend in den Räumen im Parterre des ehemaligen Hotels Krone. Das Dunant-Museum widmet sich nach eigenen Angaben als weltweit einziges Museum dem Leben und Wirken des visionären Gründers des IKRK und der Genfer Konventionen.

Lebensabend in Heiden

Henry Dunant (1828-1910) wohnte die letzten 18 Jahre seines Lebens in Heiden. Hier erhielt er 1901 die Mitteilung, dass er als Erster mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet werde. Das Appenzell Ausserrhoder Dorf war damals ein bekannter Kurort. Hier verfasste Dunant seine Memoiren.

Das Dunant-Museum ist im Gebäude untergebracht, in dem Henry Dunant bis zu seinem Tod Ende Oktober 1910 als zurückgezogener Pensionär ein Zimmer im zweiten Stock mit Blick auf den Bodensee bewohnte. Die Ausstellung thematisiert neben seinen politischen Ideen und seinem humanitären Schaffen auch Dunants letzte Jahre in Ausserrhoden.