Klimapolitik Gletschersterben am Pizol, aufmüpfige Jugend und «Grüne Welle»

SDA

20.12.2019 - 08:21

Ein Trauermarsch für den geschmolzenen Pizol-Gletscher, Schülerinnen und Schüler im Klimastreik, leidende St. Galler Wälder und Thurgauer Bauern wegen der Trockenheit: Selten hat ein Thema das Leben in der Ostschweiz so geprägt wie 2019 das Klima.

Der Marsch von über 100 Klima-Aktivistinnen und Aktivisten zum Pizol-Gletscher Ende September war sinnbildlich: Die einst 400 Meter langen Eismassen auf rund 2700 Metern Höhe sind so stark geschmolzen, dass Glaziologen den Gletscher nicht länger vermessen wollen. Dazu geführt hat eine Häufung von extrem warmen Jahren.

Mit dem Trauermarsch wollten die Aktivisten auf die Bedrohung des Klimawandels aufmerksam machen. Wie der Pizol-Gletscher dürften bis ins Jahr 2050 Hunderte weitere kleine Gletscher in der Schweiz verschwinden. Stein- und Geröllwüsten werden übrigbleiben.

Schüler im Streik

Dem Klimawandel wollten immer mehr junge Menschen nicht tatenlos zusehen. Sie trugen ihren Protest gegen die Untätigkeit der Politiker in vielen Schweizer Städten auf die Strasse, so auch in St. Gallen: «Üsi Zuekunft!» oder «Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut!» skandierten die Jugendlichen.

Auch Erwachsene und «Klima-Senioren» nahmen an den Klimastreiks teil, die Ende 2018 begonnen hatten. Vorbild ist die schwedische Schülerin Greta Thunberg, die durch ihre wöchentlichen Proteste vor dem Parlament berühmt geworden ist. «Das tragen wir hier weiter», erklärte ein St. Galler Kundgebungsteilnehmer.

Die Klimastreiks, an denen bis zu 1500 Personen teilnahmen, riefen das kantonale Bildungsdepartement auf den Plan: Es verbot Klimastreiks während der Unterrichtszeiten und drohte den Schülerinnen und Schülern mit unentschuldigten Absenzen in ihren Zeugnissen.

Im Februar machten Kantischüler und Mitglieder des Ostschweizer Klima-Kollektivs im St. Galler Kantonsratssaal ihrem Unmut über die Untätigkeit der Politik Luft: Mit Zwischenrufen störten sie die Debatte über zwei Standesbegehren zum Klimaschutz. Die Schulleitung verknurrte sie dazu, in der Innenstadt Abfall wegzuräumen.

Mutloser Kantonsrat

Der Kantonsrat traf sich im Juni zu einer Klimasession und behandelte rund 50 Vorstösse zur Klima-, Energie- und Umweltpolitik. Von einem Klima-Notstand wollten das von der FDP und der SVP dominierte Parlament und die Regierung aber nichts wissen. Die meisten Forderungen blieben chancenlos, wurden abgeschwächt oder auf später verschoben.

SP und Grüne scheiterten mit ihrem Vorstoss «Kanton St. Gallen: Treibhausgasneutral bis 2030» ebenso wie mit einem Verbot von Einwegplastik oder der Förderung von erneuerbarer Energieproduktion auf Hausdächern. Viele Forderungen wurden als «unrealistisch» oder als «Insellösungen» abgetan.

Ende August wurde die Klimajugend auch auf dem Land aktiv. In Wattwil, Degersheim und in Teufen AR riefen Klimagruppen zu Kundgebungen auf. Ihre Forderung: Ausrufung des Klimanotstands – auch lokal, so wie es die Stadt Wil vorgemacht hatte, die ihren Ausstoss an Treibhausgasen bis 2050 auf Null senken will.

Wassermangel am Bodensee

Derweil litten die Wälder unter der sommerlichen Trockenheit: Vor allem den Nadelbäumen fehle es an Wasser, zeigte sich der Verband «Wald St. Gallen und Liechtenstein» besorgt. Das warme Klima begünstige auch die Verbreitung des Borkenkäfers, zudem setzten Stürme den geschwächten Wäldern zu.

Am Bodensee wurde in einigen Gemeinden das Trinkwasser knapp. Die Behörden von Altnau TG, Güttingen TG und Langrickenbach TG beriefen eine Krisensitzung ein und verboten den Privathaushalten vorübergehend, Rasenflächen und Blumenbeete zu bewässern, Swimmingpools zu füllen oder Autos zu waschen.

Bauern durften ihre Wiesen und Äcker nicht mehr mit Leitungswasser bewässern. Die angeschlossenen Haushalte und Betriebe hatten wegen der Trockenheit deutlich mehr Wasser verbraucht, als das Seewasserwerk Kesswil in die Reservoirs pumpen konnte.

Im September demonstrierten rund 500 Schülerinnen und Schüler in St. Gallen für den Klimaschutz. Mit einer Sirene und weissen Schutzanzügen schlugen sie vor der UBS-Filiale am Multertor Klima-Alarm. In Ansprachen kritisierten sie die untätigen Politiker, aber auch die Banken und Grosskonzerne mit ihren klimaschädlichen Geschäftspraktiken.

Grüner Triumph

Die Parlamentswahlen vom Oktober brachten den Grünen und den Grünliberalen einen Triumph. «Die Wahlen 2019 waren Klimawahlen», stellte die neu gewählte St. Galler Nationalrätin der Grünen, Franziska Ryser, fest. Auch im Kanton Thurgau gewannen die Grünen mit ihrem Präsidenten Kurt Egger einen Sitz. In beiden Kantonen verdoppelte die Partei ihre Wähleranteile beinahe.

Im Dezember bewilligte der Thurgauer Grosse Rat mit dem Budget 2020 die neue Stelle eines Klimaschützers. Dieser «Klima-Beamte» soll über alle Ämter und Departemente hinweg die Umsetzung von Massnahmen zum Klimaschutz koordinieren und sicherstellen. Der Klimaschützer war im Rat unbestritten.

Anfang Dezember beschäftigte die Energiewende den Innerrhoder Grossen Rat. Das Parlament gab der Standeskommission (Regierung) den Auftrag, einen Gegenvorschlag zur Initiative «Pro Windenergie» auszuarbeiten, um der Windenergie-Nutzung ein Tor zu öffnen. Eine Grossrätin warf der Regierung fehlende Weitsicht vor.

Diese hatte sich gegen den geplanten Bau von zwei rund 200 Meter hohen Windrädern in Oberegg gestellt. Die privat finanzierte Anlage soll dereinst sauberen Strom für 3500 Haushalte liefern. Die Regierung gewichtete aber den Landschaftsschutz höher. 2021 entscheidet die Landsgemeinde über die Windenergie.

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