Justiz Thurgauer Obergericht steht 2020 vor Verhandlungs-Marathon

SDA

10.1.2020 - 12:34

Gerichtszeichnung vom Prozess im «Fall Kümmertshausen»: 14 Männer standen ab Februar 2017 in Kreuzlingen vor Gericht. Das Tötungsdelikt an einem 53-jährigen Rentner wird 2020 vor Obergericht Thurgau verhandelt. (Archivbild)
Gerichtszeichnung vom Prozess im «Fall Kümmertshausen»: 14 Männer standen ab Februar 2017 in Kreuzlingen vor Gericht. Das Tötungsdelikt an einem 53-jährigen Rentner wird 2020 vor Obergericht Thurgau verhandelt. (Archivbild)
Source: KEYSTONE/SIBYLLE HEUSSER

Der «Fall Kümmertshausen», das Tötungsdelikt in der Badi von Tägerwilen und die Flowtex-Affäre: Das Thurgauer Obergericht muss 2020 unter anderem auch drei Fälle bewältigen, die schweizweit für Schlagzeilen sorgten. Viel Arbeit und Aktenberge für die Thurgauer Oberrichterinnen und Oberrichter.

Der «Fall Kümmertshausen» ist der grösste Straffall aller Zeiten im Kanton Thurgau und beschäftigt die Justiz seit bald zehn Jahren. Im zweiten Halbjahr 2020 kommt es vor Thurgauer Obergericht in Frauenfeld zur Berufungsverhandlung, wie Thomas Soliva von der Medienstelle des Thurgauer Obergerichts auf Anfrage von Keystone-SDA sagt.

Das Tötungsdelikt von Kümmertshausen geschah im November 2010. Ein 53-jähriger IV-Rentner wurde tot in seinem Einfamilienhaus in einem abgelegenen Weiler in Kümmertshausen aufgefunden. Er war durch eine brutale Knebelung gestorben. Die Tat gab vorerst Rätsel auf.

Während der Strafuntersuchung stiess die Polizei auf eine kriminelle Organisation aus türkisch-kurdischen Kreisen. Laut Anklage lebten deren Mitglieder vom Drogenhandel, von Erpressungen und Menschenschmuggel.

Rund zwei Dutzend Verhandlungstage

Im «Fall Kümmertshausen» war 14 Mitgliedern der kriminellen Band vor Bezirksgericht Kreuzlingen der Prozess gemacht worden. Thomas Pleuler, der vorsitzende Richter, beschäftigte sich über ein Jahr lang ausschliesslich mit dem Fall. Im März 2018 eröffnete er die Endurteile.

Das Gericht machte den «Kronzeugen» für den Tod des Rentners mitverantwortlich und verurteilte ihn wegen eventualvorsätzlicher Tötung durch Unterlassung zu einer Freiheitsstrafe von 7,5 Jahren. Die Anklage hatte 9 Jahre und 4 Monate gefordert.

Beim Drahtzieher blieb das Gericht deutlich unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die 19 Jahre und eine Geldstrafe gefordert hatte. Der damals 48-jährige Iraker wurde zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Die Verteidigung forderte eine Freiheitsstrafe von 6,5 Jahren.

Für die übrigen Angeklagten fällte das Gericht Schuldsprüche wegen Drogenhandels, Erpressung und Nötigung. Teils gab es bei diesen Delikten aber auch Freisprüche.

Sieben Beschuldigte zogen ihr Urteil weiter ans Obergericht. Die Staatsanwaltschaft ging bei insgesamt acht Angeklagten in Berufung. Thomas Soliva rechnet mit rund zwei Dutzend Verhandlungstagen. Bereits seit einigen Monaten sei ein befristeter Gerichtsschreiber daran, den Fall vorzubereiten.

Der Aktenberg sei weiter angestiegen. In erster Instanz war von rund 450 Bundesordnern die Rede. Unklar ist, wo die Verhandlung stattfinden wird, und auch das Sicherheitsdispositiv steht noch nicht.

Tötungsdelikt von Tägerwilen

Das Bezirksgericht Kreuzlingen verurteilte im März 2019 einen damals 62-jährigem Mann zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe mit anschliessender Verwahrung. Der Deutsche soll am Pfingstsamstag 2016 in der Badi Tägerwilen TG seine 38-jährige Geliebte getötet haben.

Dass der nicht vorbestrafte Mann verwahrt wird, begründete das Gericht mit dem psychiatrischen Gutachten. Die Experten kamen zum Schluss, dass es sich bei ihm um eine kaltblütig-manipulative Persönlichkeit handelt, die voll schuldfähig sei. Der Beschuldigte zog das Urteil an das Obergericht weiter.

Der Fall soll noch im ersten Halbjahr 2020 vor Gericht verhandelt werden, erklärt der Sprecher des Thurgauer Obergerichts. Der Beschuldigte hatte das Geständnis widerrufen und einen Freispruch gefordert. Verschiedene Beweisanträge, unter anderem für ein neues Gutachten, seien noch hängig, so Soliva.

Entschädigungen in Flowtex-Affäre

Das Obergericht des Kantons Thurgau muss sich in diesem Jahr zudem erneut mit dem Flowtex-Fall befassen. Das Bundesgericht hiess im August 2019 die Beschwerden der Beschuldigten gut. Das Urteil der Vorinstanz wegen Geldwäscherei wurde damit aufgehoben. Die Entschädigungen der Angeschuldigten seien Gegenstand des laufenden Verfahrens, erklärt Soliva. Es sei noch offen, ob es zu einer mündlichen Verhandlung komme.

Hintergrund des Falls ist ein Schwindel mit nicht existierenden Horizontalbohrmaschinen, der Anfang 2000 aufflog und einen Schuldenberg von 2,5 Milliarden Euro hinterliess. 2001 wurde der Geschäftsführer der GmbH vom Landgericht in Mannheim zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Ein grosser Teil der illegalen Gewinne blieb jedoch verschwunden.

Zentraler Punkt des Verfahrens ist, ob der ehemalige Firmenchef, seine Ex-Frau und die beiden Kinder mit Hilfe eines Anwalts Vermögenswerte im Wert von 25 Millionen Franken in die Schweiz geschafft haben mit dem Ziel, diese der Flowtex-Konkursmasse zu entziehen und die Vermögenswerte gleichzeitig zu waschen. Konkret geht es unter anderem um vier Bilder von Chagall, einen Diamanten von 51 Karat und ein Grundstück in St. Moritz.

Das Obergericht hatte die Beschuldigten im November 2018 in einigen Anklagepunkten zwar freigesprochen. Die Strafen wegen Geldwäscherei und Urkundenfälschung hatte es aber leicht verschärft, weil es das Verschulden stärker gewichtete als das Bezirksgericht Frauenfeld. Zudem ordnete es den Einzug der Vermögenswerte zu Gunsten des Kantons Thurgau an. Dadurch sollte die Konkursdividende für die Gläubiger etwas aufgebessert werden.

Das Bundesgericht hiess die Beschwerden der Beschuldigten gut, weil die ertrogenen Vermögenswerte in Deutschland gemäss den damals geltenden Gesetzen nicht einziehbar waren. Geldwäscherei könne jedoch nur an Vermögenswerten begangen werden, die einziehbar sind. In der Schweiz bestehe kein Anspruch, die Vermögenswerte einzuziehen.

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