Das Zürcher Obergericht hat am Montag eine 38-jährige Frau der versuchten Tötung schuldig gesprochen. Es verurteilte sie zu 6,5 Jahren Freiheitsentzug und ordnete eine 8-jährige Landesverweisung für die Kubanerin an.
Die Beschuldigte, eine kleingewachsene, zierliche, kindlich wirkende Frau, hatte am 16. Juni 2017 in Oberglatt ZH einen Nachbarn mit einem Küchenmesser angegriffen und leicht verletzt. Dem Mann hat sie eine Genugtuung von 8000 Franken sowie Schadenersatz von 1800 Franken zu entrichten. Dazu kommen hohe Gerichts- und weitere Gebühren.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwältin hatte eine 9-jährige Freiheitsstrafe und zehn Jahre Landesverweisung gefordert. Der Verteidiger hatte auf Freispruch plädiert.
Zur Auseinandersetzung kam es an jenem späten Juninachmittag, nachdem der neunjährige Sohn der Beschuldigten in eine Prügelei unter Buben geraten war. Immer wieder hätten sie den Kleineren geschlagen, sagte die Beschuldigte vor Obergericht. Nachbarn dagegen beschrieben den Knaben als notorischen Streithammel. Der Bub lebt seit heute bei seiner Grossmutter in Kuba.
Mit Messer losgegangen
Der Sohn sei weinend und mit blauen Flecken nach Hause gekommen. Sie habe die Angelegenheit mit den Eltern der beteiligten Knaben klären wollen, sagte die Beschuldigte. Sie steckte ein Rüstmesser ein und ging über die Strasse zu einer Nachbarin, die den Sohn hart angepackt, ausgeschimpft und nach Hause geschickt hatte.
Wütend schrie die Beschuldigte die Nachbarin an. Das Geschrei sei bis vor die Tür zu hören gewesen, sagte das spätere Opfer, ein weiterer Nachbar. Auch er war wütend. Sein Sohn hatte ihm erzählt, die Beschuldigte habe ihm eine Ohrfeige verpasst.
Er habe sie gefragt, ob das stimme, sie habe bejaht und erklärt, sie würde das jederzeit wieder tun, so die Schilderung des Rechtsvertreters des Vaters. Die Beschuldigte selbst stellte vor Gericht die Ohrfeige in Abrede. Sie habe nur mit dem Buben geschimpft und ihm mit dem Zeigefinger gegen die Stirne gepiekt.
Für das Gericht war erstellt: Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung, dann stach die Frau unvermittelt mit dem Messer in den Bauch des Mannes. Dieser wehrte sich, packte sie am Hals und stiess sie zu Boden. Sie schnellte wieder auf und ging weiter auf ihn los. Er erlitt oberflächliche Verletzungen an Bauch, Oberkörper und Armen.
Schliesslich ging ihr Sohn dazwischen und wollte seine Mutter zum Aufhören bringen. Dabei verletzte sie ihn mit dem Messer an der Hand. Erst da habe sie aufgehört zu toben.
Beschimpft und geschlagen
Die Beschuldigte hatte geltend gemacht, der ihr körperlich klar überlegene Mann sei von Anfang an mit Fäusten und Tritten auf sie los gegangen und habe sie gewürgt. Sie habe um ihr Leben gefürchtet und in Notwehr gehandelt. Ihr Sohn habe nicht sie, sondern den Mann von weiteren Angriffen abhalten wollen.
Das Bezirksgericht Dielsdorf hatte im April 2018 die Notwehrsituation anerkannt – die Frau habe allerdings überrissen reagiert, es handle sich demnach um einen Notwehrexzess. Dies wirkte sich strafreduzierend aus. Es hatte die Beschuldigte zu einer Freiheitsstrafe von 3,5 Jahren verurteilt – ebenfalls mit 8 Jahren Landesverweisung.
Keine Notwehrsituation
Das Obergericht dagegen wollte nichts wissen von einer Notwehrsituation. Mit ihrer Attacke habe die Beschuldigte in Kauf genommen, ihrem Kontrahenten tödliche Verletzungen zuzufügen. Und das habe sie auch gewusst. Nur zufällig sei nichts Schlimmeres passiert.
Weil es keine Notwehrsituation anerkannte, erhöhte das Obergericht die erstinstanzlich zugesprochene Genugtuung um 3000 Franken. Der Beschuldigten hielt es zu Gute, dass sie die Attacke in einer Kurzschlussreaktion vorgenommen und sie nicht von langer Hand geplant habe. Sie habe aus Wut gehandelt, nachdem der Mann sie beschimpft habe.
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