Als sie im Mai 2020 in Zürich eine Autospur in einen Popup-Veloweg umfunktionierten, haben zwei Männer nicht gegen das damals gültige Covid-Veranstaltungsverbot verstossen: Das Obergericht hat am Mittwoch ein Urteil des Bezirksgerichts umgestossen.
Keystone-SDA, olgr, sda
20.04.2022, 10:02
20.04.2022, 10:10
SDA
Die beiden Männer hätten einen «Lucky Punch» gelandet, einen Glückstreffer, meinte der Richter in seiner kurzen Urteilsbegründung.
Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im März das absolute Veranstaltungsverbot, das zu Pandemiebeginn während zehn Wochen galt, als Verletzung der Versammlungsfreiheit eingestuft. Der Entscheid des EGMR fiel mit 4 zu 3 Stimmen.
Dieses Urteil sei gerade auf die beiden Beschuldigten zugeschnitten, hielt einer der Oberrichter fest. Deren Aktion sei gerade in die Zeit dieses absoluten Veranstaltungsverbots gefallen. Aber: «Das ist kein Freipass für Covid-Massnahmengegner, das ist kein Freipass für die Behinderung des motorisierten Individualverkehrs.»
Stadträtin Brander am 31. Mai vor Gericht
Personen aus dem Umfeld des Vereins Umverkehr wollten im Mai 2020 zeigen, dass sich unbürokratisch Velowege schaffen lassen. Sie sperrten auf der Gessnerallee in Zürich währen knapp einer halben Stunde eine der beiden Autofahrspuren und markierten diese mit einer Schablone und Kreide als Fahrradweg.
Damit hätten sie gegen die damals gültige Covid-19-Verordnung 2 verstossen, so die Staatsanwaltschaft. Das Bezirksgericht Zürich verurteilte die zwei an der Aktion anwesenden Männer im September 2021 wegen Vergehens gegen das Veranstaltunsgsverbot zu geringen bedingten Geldstrafen von acht und zehn Tagessätzen.
In einem weiteren Verfahren wurde auch SP-Politikerin Simone Brander, die inzwischen zur Zürcher Stadträtin gewählt wurde, erstinstanzlich verurteilt. Auch sie war bei der Veloweg-Aktion dabei. Alle drei kündigten an, sich gegen die Schuldsprüche zur Wehr zu setzen. Branders Verhandlung findet am 31. Mai statt.
Velowege statt volle Trams
Die beiden Männer im Alter von 37 und 33 Jahren forderten vor Obergericht Freisprüche – schliesslich sei es bei ihrer Aktion ja gerade um die Bestätigung der Covid-Massnahmen gegangen, sagten sie.
«Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass es einfache Mittel gäbe, um die Leute aus dem ÖV zu holen und vor Ansteckungen zu schützen», sagte einer der Beschuldigten, ein Lokführer.
Mit Popup-Fahrradwegen hätten die Kapazitäten geschaffen werden können, um die Leute aufs Velo zu bringen, meinte der zweite Beschuldigte, ein Umweltwissenschaftler. «Wären in der Pandemie alle aufs Auto umgestiegen, wäre der Verkehr in der Stadt kollabiert.»
Täglich wechselnde Bestimmungen
Die beiden Veloweg-Schaffer brachten zudem vor, dass es sich gar nicht um eine Veranstaltung gehandelt habe, sondern um eine relativ spontane politische Aktion mit Flashmob-Charakter. Es seien auch nicht mehr als fünf Personen vor Ort gewesen.
Und schliesslich hätten die Bestimmungen damals fast täglich gewechselt. Gerade am Tag der Aktion auf der Gessnerallee waren neue Bestimmungen der Covid-19-Verordnung 2 in Kraft getreten, wie die beiden Beschuldigten vorbrachten, die vor dem Obergericht ohne Anwälte erschienen waren. Sie seien davon ausgegangen, dass ihre politische Aktion rechtmässig gewesen sei.
Die Aussagen, dass es sich um keine Veranstaltung gehandelt habe oder dass ein Verbotsirrtum vorliege, hatte das Gericht aber nicht überzeugt, wie der vorsitzende Richter sagte. Ausschlaggebend sei nun aber gewesen, dass der Fall vom EGMR-Urteil überholt worden sei.
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