ERZ-Affäre Zürcher Entsorgungswesen war eine «Parallelwelt mit eigenen Regeln»

SDA

10.4.2019 - 15:02

Schwarze Kassen, teure Weihnachtsessen und eigene Emus: Am Mittwoch hat der Zürcher Stadtrat den über 300 Seiten dicken externen Untersuchungsbericht zur unrühmlichen Affäre im städtischen Entsorgungswesen veröffentlicht. Der Bericht zeigt, dass die Dienstabteilung Entsorgung + Recycling (ERZ) eine Parallelwelt mit eigenen Regeln war.

Rechtsprofessor Tomas Poledna fasste im Juni 2017 vom Zürcher Stadtrat eine anspruchsvolle Aufgabe: Er sollte die Vorgänge bei der Dienstabteilung ERZ der vergangenen zwanzig Jahre untersuchen. Das Ergebnis, das nun vorliegt, ist über 300 Seiten dick. 70 Personen wurden dafür befragt, darunter auch ehemalige Stadträte.

Der Bericht zeigt, dass ERZ eine Parallelwelt darstellte, die sich erfolgreich vom Rest der Stadtverwaltung abgesondert hatte und eigene Regeln und Gepflogenheiten kultivierte. Städtische Regeln wurden von ERZ-Direktor Urs Pauli generell als hinderlich betrachtet, heisst es im Bericht.

Als Grundproblem sieht Poledna, dass der Stadtrat seit Jahrzehnten kein Konzept hatte, wie diese Dienstabteilung zu führen, zu positionieren und zu beaufsichtigen sei.

Beim Tiefbau- und Entsorgungsdepartement (TED), dem ERZ angegliedert ist, habe es zudem keine Ansprechperson gegeben, die dem ERZ-Direktor «auf einem professionellen Niveau hätte begegnen können.» Stattdessen genoss Pauli das volle Vertrauen des Stadtrates, denn ERZ galt als Musterbetrieb.

Museum für alte Kehrichtwagen

In diesen Lücken hätten sich dann schrittweise Abweichungen von der strikten Verwaltungstätigkeit breit gemacht, schreibt Poledna. Diese Abweichungen wurden nicht nur vom Stadtrat sondern auch vom Gemeinderat gebilligt – sofern diese denn überhaupt davon wussten.

Generell habe es einen Hang zu Intransparenz gegeben, «bis hin zu Lügen». Gleichzeitig habe die Kontrolle gefehlt. «Im Grossen und Ganzen hat man sich blenden und täuschen lassen», sagte Stadtrat Richard Wolff (AL) an der Medienkonferenz.

Am Anfang ging es noch um einen einzigen Dienstwagen im Wert von 130'000 Franken, dann um Dienstautos für die gesamte Geschäftsleitung, danach wurden auf eigene Faust sogar ein Oldtimer-Museum für historische Kehrichtwagen und eine Badelandschaft in einem ehemaligen Klärbecken gebaut.

Für die Mitarbeitenden gab es ein Fitnesscenter, teure Weihnachtsfeste und eine Anlage mit Wildvögeln und Emus. Die Emus würden von den Mitarbeitenden in der Freizeit gepflegt, hiess es von Seiten ERZ. In Wahrheit wurden die Kosten der Stadt verrechnet.

Geld fürs «Grillteam»

Schliesslich wurden ausgediente Fahrzeuge intern verkauft, wobei der Erlös in drei Schwarze Kassen floss. Eine Kasse war für das interne «Grillteam» bestimmt. Städtische Gelder wurden also klar zweckentfremdet. In einem Safe, der in einem Bürogebäude von ERZ entdeckt wurde, lagen 215'000 Franken in Bar.

Die Vorgänge rund um diese Kassen offenbaren gemäss Poledna-Bericht «ein betrübliches Bild über das Eigenleben von ERZ». Ein komplettes Bild gibt der Bericht allerdings nicht ab, vor allem was die Schwarzen Kassen betrifft. «Alle möglicherweise verantwortlichen Personen wollten sich nicht von mir befragen lassen», schreibt Poledna. Hier müsse ein Strafverfahren für Klarheit sorgen.

Mittlerweile laufen Strafverfahren gegen acht Personen, darunter auch Urs Pauli. Gemäss Angaben der Staatsanwaltschaft wird wegen ungetreuer Amtsführung und Urkundenfälschung ermittelt. Ob und wann es zu Anklagen kommt, ist noch unklar.

ERZ-Direktor Pauli fristlos entlassen

Die Missstände in der Dienstabteilung ERZ waren zwar bereits 2015 bekannt geworden – die Affäre um Pauli kam aber erst am 22. Mai 2017 so richtig ins Rollen: Pauli wurde wegen Verdachts auf ungetreue Amtsführung fristlos entlassen und angezeigt. Gegen seine Entlassung rekurrierte Pauli beim Bezirksrat – jedoch vergeblich. Die Kündigung ist seit November 2018 rechtskräftig.

Die Poledna-Untersuchung wird nicht die einzige Aufarbeitung der ERZ-Affäre bleiben: Die Vorgänge werden gegenwärtig auch von einer parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) untersucht – es ist die erste PUK in Zürich seit der Klärschlamm-PUK von 1996. Die PUK-Ergebnisse stehen noch aus.

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