Die Zürcher Gesundheitsvorsteherin Claudia Nielsen (SP) tritt bei den Erneuerungswahlen vom 4. März nicht mehr an. Für den überraschenden Verzicht gibt die 56-Jährige an, dass sie die politische Verantwortung für "fragwürdige Verbuchungen und Verwendungen von ärztlichen Honoraren" im Stadtspital Triemli übernehme.
Nielsen war in den vergangenen Monaten wegen ihrer Spitälerstrategie und ihrer Personalpolitik in die Kritik geraten. Dies sei zwar unangenehm gewesen, sagte die 56-Jährige am Mittwochmittag an einer kurzfristig anberaumten Medienkonferenz: "Aber wer austeilt, muss auch einstecken können." Trotz Kritik hätte sie sich der Wiederwahl stellen wollen: "Die Wähler haben in unserem System das letzte Wort."
Nun sei sie aber mit einem anderen Thema konfrontiert, das die Ausgangslage verändert habe. "Letzte Woche ist das Stadtspital Triemli von der städtischen Finanzkontrolle über fragwürdige Verbuchungen und Verwendungen von ärztlichen Honoraren informiert worden." Offenbar seien in den vergangenen Jahren, ja Jahrzehnten reglementswidrige Verbuchungen erfolgt.
Laut Nielsen soll die Stadtkasse nicht geschädigt, sondern entlastet worden sein. "Zwar gehe ich davon aus, dass kein böser Wille zu beklagen ist, sondern Pflicht- und Reglementsverletzungen im finanziellen Bereich." Doch übernehme sie nun mit ihrem Verzicht auf die Wiederwahl die politische Verantwortung.
Definitiver Bericht steht noch aus
Um welche Verbuchungen es geht, führte die Gesundheitsvorsteherin in ihrer persönlichen Erklärung nicht näher aus. Sie hielt aber fest, dass nicht der Vorwurf im Raum stehe, dass Triemli-Ärzte unberechtigte Honorare verrechnet oder sich bereichert hätten. "Es geht ausschliesslich um die Verwendung und Verbuchung dieser Honorare für das Stadtspital Triemli."
Der Zürcher Stadtrat kennt die Vorwürfe im Detail noch nicht: Der definitive Bericht der Finanzkontrolle stehe noch aus, sagte Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) an einem Point de Presse am Mittwochnachmittag.
Mauch verwies darauf, dass Nielsen bereits Massnahmen ergriffen habe. So habe sie die umstrittene Verbuchungspraxis gestoppt und eine Administrativuntersuchung eingeleitet. Und Nielsen hatte am Mittag angekündigt, dass sie "so rasch als möglich über die Erkenntnisse der Finanzkontrolle informieren" wolle.
SP entscheidet am Donnerstag
Die Verzichtserklärung von Nielsen bringt eine neue Dynamik in den Wahlkampf. Die Geschäftsleitung der SP wird sich am Donnerstagabend zu einer ausserordentlichen Sitzung treffen. Dabei wird sich zeigen, ob die Partei dreieinhalb Wochen vor den Wahlen einen neuen Kandidaten aufstellen will. Andernfalls wird sie einen ihrer vier Stadtratssitze verlieren.
Nielsen wurde 2010 in den Zürcher Stadtrat gewählt und übernahm das Gesundheits- und Umweltdepartement. Zuvor sass die heute 56-Jährige von 1994 bis 2010 im Stadtparlament. Die laufende Legislatur will sie nun noch abschliessen und das Departement ordentlich übergeben.
Mauch: "ein mutiger Schritt"
Der Stadtrat ist laut Mauch vom persönlichen Entscheid überrascht worden: Er bedauere ihn, respektiere ihn aber auch. "Es ist nach Ansicht des Stadtrates ein sehr mutiger Entscheid, ein konsequenter Entscheid."
Auch die CVP rechnet es Nielsen hoch an, dass sie die politische Verantwortung übernimmt, wie sie in einer Mitteilung schreibt. "Sie ermöglicht damit dem Gesamtstadtrat, die Verwantwortlichkeiten im Departement neu zu regeln."
Für die SVP handelt es sich beim kurzfristigen Kandidaturverzicht um "einen höchst ungewöhnlichen Vorgang", die Angelegenheit sei für die SP ein Desaster. Die SVP habe "immer auf die Unordnung in den rot/grün geführten Departementen hingewiesen", schreibt sie weiter. Ein Richtungswechsel im Stadtrat sei überfällig.
Für die FDP ist der Schritt von Nielsen "ein konsequenter Entscheid", wie der Fraktionspräsident im Gemeinderat sagte. Nielsen sei ein Opfer vom System des Stadtrates - und auch des Stadtpräsidiums - geworden. Der Stadtrat habe während Jahren weggeschaut und heisse Eisen nicht angerührt.
In Position brachte sich am Mittwoch GLP-Stadtratskandidat Andreas Hauri: Er sei bereit, das Gesundheits- und Umweltdepartement zu übernehmen, heisst es in einer Mitteilung. Er habe die Erfahrung und Fähigkeit für den Veränderungsprozess bei den Stadtspitälern.
Im neunköpfigen Stadtrat hält die SP derzeit vier Sitze. AL, Grüne und CVP stellen je ein Mitglied, die FDP zwei. Die Erneuerungswahlen finden am 4. März statt.
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