Überraschende Wahl Ausgerechnet der notorisch erfolglose Tayfun Korkut soll Hertha Berlin wiederbeleben

SB10/DPA

30.11.2021

 Tayfun Korkut soll die alte Dame wieder in die Spur bringen.
Tayfun Korkut soll die alte Dame wieder in die Spur bringen.
Bild: Getty

Hertha-Urgestein Pal Dardai muss seinen Posten als Chefcoach räumen. In Berlin hat man mit Tayfun Korkut eine überraschende Wahl als Nachfolger getroffen. Die Skepsis in der deutschen Hauptstadt ist gross.

SB10/DPA

Der mit so grossen Ambitionen ausgestattete Klub liegt aktuell auf Rang 14 – mit nur einem Punkt Vorsprung auf den Relegationsrang. Der auf diese Saison aus Frankfurt geholte Manager Fredi Bobic zog nach dem letzten Spiel – Hertha kassierte in der Nachspielzeit gegen Augsburg noch den 1:1-Ausgleichstreffer – die Reissleine. Zuvor hatte man bereits das Derby gegen Union verloren (0:2). Der Lokalrivale ist seit längerem die Nummer 1 in der Stadt.

Die Konsequenz: Der «kleine Pal» – wie sich Dardai ironisch selbst titulierte – hat ausgedient. Der nächste Kandidat, der den «Big-City-Club» auf Erfolgskurs bringen soll, heisst Tayfun Korkut. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt, dass es kein Spaziergang wird. Der Verein verschliss in den vergangenen knapp zweieinhalb Jahren nach dem ersten wegen ständiger Mittelmässigkeit beendeten Engagement von Dardai (2015-2019) mit Ante Covic, Jürgen Klinsmann, Alexander Nouri, Bruno Labbadia vier weitere Trainer.



Dabei steckte Investor Lars Windhorst in den letzten zwei Jahren viel Geld (375 Millionen Euro) in den Klub. Zwar kam man damit unbeschadet durch die Corona-Krise, sportlich haben sich die getätigten Transfers – wie zum Beispiel jene von Lucas Tousart (25 Millionen Euro), Krysztof Piatek (24 Millionen Euro) oder Santiago Ascibar (10 Millionen Euro) – aber nicht gelohnt. «Ein Grossteil der Investitionen ist jetzt sowieso weg», konstatierte kürzlich Bobic. 

Korkuts dürftiger Leistungsausweis

In der grössten deutschen Metropole denkt man normalerweise in grossen Dimensionen – manche nennen es auch grössenwahnsinnig. Mit Korkut kommt nun aber ein Trainer, mit dem niemand gerechnet hat. Bei seinem letzten Engagement vor drei Jahren beim VfB Stuttgart (22 Spiele/1,64 Punkte pro Spiel) war der ehemalige türkische Nationalspieler wie auch zuvor bei Bayer Leverkusen (12 Spiele/1) und dem 1. FC Kaiserslautern (18 Spiele/1,06) nur wenige Monate im Amt. Erstmals Cheftrainer war er bei Hannover 96 von 2014 bis 2015 (1,17 Punkte pro Spiel). Ein beeindruckender Leistungsausweis sieht anders aus. Und nun soll ausgerechnet er die dringend benötigte Stabilität in das wacklige Gebilde reinbringen.

Zum Job kam der 47-Jährige über sein Beziehungsnetz. Beim VfB Stuttgart war er Jugendtrainer zu Bobic' Managertagen. «Der Kontakt ist nicht abgerissen», sagte Bobic. Er habe gesehen, «wie akribisch Tayfun arbeitet», wie er als «Teamworker junge Menschen begeistern kann».

Sportdirektor Fredi Bobic (l.) und Präsident Werner Gegenbauer pokern hoch.
Sportdirektor Fredi Bobic (l.) und Präsident Werner Gegenbauer pokern hoch.
Bild: Getty

Der neue Hertha-Coach hofft, trotz eines Vertrages nur bis zum Saisonende, möglicherweise langfristig bleiben zu können: «Für mich ist wichtig, dass es losgehen kann, alles andere wird sich zeigen. Ob drei oder sechs Monate, ob zwei, drei oder vier Jahre, ist nicht entscheidend».

Pragmatismus statt Spektakel

Korkut will erstmal genau hinschauen. Und sich anpassen, an das, was ihm das Spielermaterial ermöglicht. Im zusammengewürfelt wirkenden Kader tummeln sich Profis wie der torlose Davie Selke oder Verbal-Anführer Kevin-Prince Boateng, die auf dem Platz schon länger ihren eigenen Ansprüchen hinterherhinken.

Er müsse seine eigentlich offensiv ausgerichtete Spielphilosophie an die Bedingungen in Berlin anpassen, so Korkut, der seit seinem letzten Job beim VfB Stuttgart immerhin gut drei Jahre raus war aus dem Bundesliga-Geschäft. Im Olympiastadion wird man also in nächster Zeit eher keinen Champagner-Fussball sehen. Er müsse «pragmatisch» vorgehen, ergänzte Korkut. Das habe er in seiner Zeit als Profi in Spanien bei Real Sociedad San Sebastian und Espanyol Barcelona gelernt, so der international geprägte Schwabe.

Trotz der engen Bande mit seinem Vorgesetzten muss Korkut liefern, um die Hertha endlich in «ruhigere Gewässer» (Bobic) zu bringen. Seine erste Bewährungsprobe im Abstiegskampf hat Korkut gleich am Sonntag bei seinem Ex-Klub VfB Stuttgart.