Marcel Reif zum Bundesliga-Start «Bayern wird Leverkusens Schwächen ausnutzen» ++ «Seoane muss jetzt liefern»

Jan Arnet

22.8.2024

Marcel Reif: «Leverkusen in der Form von letzter Saison ist auch dieses Jahr Top-Favorit»

Marcel Reif: «Leverkusen in der Form von letzter Saison ist auch dieses Jahr Top-Favorit»

blue Sport Experte Marcel Reif schaut auf die bevorstehende Bundesliga-Saison.

21.08.2024

Kann Leverkusen sein Meister-Kunststück wiederholen? Wie stark sind die neuen Bayern? Und wer steigt ab? Das grosse Interview mit blue Sport Experte Marcel Reif vor dem Saisonstart der Bundesliga. 

Jan Arnet

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am Freitag startet die neue Bundesliga-Saison mit dem Spiel Borussia Mönchengladbach gegen Bayer Leverkusen.
  • Kann Gerardo Seoane Gladbach nach der schwierigen ersten Saison wieder in die Spur bringen? Wird Granit Xhakas Leverkusen wieder Meister? Oder schlägt Bayern München mit neuen Stars und neuem Trainer zurück?
  • blue Sport Experte Marcel Reif gibt im Interview seine Einschätzung zur neuen Bundesliga-Saison ab.

Marcel Reif, die Bundesliga geht wieder los. Letzte Saison wurde Bayer Leverkusen ungeschlagen Meister. Leverkusen konnte die Schlüsselspieler alle halten und auch Trainer Xabi Alonso ist noch da. Ist der Titelverteidiger der grosse Favorit?

Marcel Reif: Wenn sie das wieder auf den Platz kriegen, was sie letzte Saison gezeigt haben, dann sind sie ganz sicher der Top-Favorit. Aber es ist ja immer eine Sache, Erfolg zu haben. Und die andere, in der nächsten Saison damit umzugehen und den Erfolg zu halten. Das ist völlig neu für Leverkusen. Wenn Bayern fünfmal hintereinander Meister wird, ist es nichts Neues, in der neuen Saison wieder den Titel anzustreben. Aber für Leverkusen sind das völlig neue Zeiten.

Die Erwartungshaltung ist auf einmal eine andere.

Die Champions League kommt auch noch dazu. Wie gehen einzelne Spieler mit ihrem neuen Ruhm um? Die hatten jetzt den ganzen Sommer Zeit, sich zu überlegen: «Mensch, wir haben nur ein verdammtes Pflichtspiel verloren. Sonst nichts. Mensch, wir sind schon richtig tolle Hirsche!» Die grosse Aufgabe wird es sein, mit dem Erfolg vernünftig umzugehen, aber da vertraue ich auf Xabi Alonso.

Im Gegensatz zu Leverkusen hatte Bayern einen Umbruch. Mehrere Spieler sind gegangen, neue Stars sind gekommen und der Trainer wurde gewechselt. Hat Bayern genau das gebraucht, um zu alter Stärke zurückzufinden?

Der Kader ist ja jetzt nicht sehr viel schwächer geworden, die Bayern haben schon gezielt eingekauft. Sie haben den Umbruch noch nicht ganz vollzogen, aber einen grossen Schritt gemacht und den hat es gebraucht. Die Mannschaft, der Kader war satt, übersättigt sogar. Einige Spieler sind auch in die Jahre gekommen, und andere haben gezeigt, dass ihnen doch die Qualität fehlt, um Bayern-Spieler zu sein.

Ist es Vincent Kompany zuzutrauen, das Starensemble wieder zu Titeln zu dirigieren?

Er ist ein neuer junger Trainer, der auf diesem Niveau noch nicht gearbeitet, aber grosse Vorschusslorbeeren hat. Er war ein grosser Spieler und als Trainer traut man ihm viel zu, sonst hätten die Bayern ihn nicht geholt. Auch wenn er die fünfte Wahl war, so ehrlich muss man sein. Viele andere haben abgesagt. Und die Bayern-Kabine ist auch ein gefährliches Gelände.

Präzisieren Sie.

Die Spieler müssen mit diesem neuen Trainer arbeiten wollen und nicht bei der ersten etwas schwächeren Veranstaltung sagen: «Naja, wir sind ja hier auch ein Ausbildungsklub für Trainer.» Das passiert nun mal sehr gern in der Bayern-Kabine. Das haben sie in der Vergangenheit schon öfter gemacht und zuletzt hatten die Bayern eine Trainerfluktuation, die grotesk und eines Klubs wie Bayern auf dem Niveau nicht würdig war.

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Trotzdem dürfte Bayern München wieder die Mannschaft sein, die es zu schlagen gilt, wenn man Meister werden will.

Wenn sie das alles in den Griff kriegen, wenn sie Kompany machen lassen, wenn auch Uli Hoenes und andere von aussen weniger mit dem Mundwerk arbeiten und mehr im Hintergrund, dann ist der Kader gut genug, um Leverkusen Paroli zu bieten, um mitzuhalten. Ich erwarte einen Zweikampf um den Meistertitel.

Und wer setzt sich am Ende durch?

Ich fürchte, dass Bayern einige schwächere Dinge und einige Probleme bei Leverkusen ausnutzen wird. Sie haben Hunger – und sie sind auf einer Mission. Das Champions-League-Finale ist nächstes Jahr in München. Bayern-Mannschaften können auf so eine Mission gehen und einen Flow bekommen. Es gibt genug Leute, die sagen, so ein Team kann auch der Busfahrer trainieren. Als sie 2020 sechs Titel gewonnen haben, war das auch so. Ich traue Leverkusen diese Konstanz von letzter Saison nicht mehr zu, deshalb sehe ich Bayern vorne.

Dortmund, Leipzig und Stuttgart haben auch interessante Mannschaften. Haben sie keine Titelchancen?

Stuttgart hatte schwere Abgänge, die sie offenbar ganz gut kompensieren konnten. Die machen viel mit Verstand, haben einen prima Trainer, die Mannschaft zieht mit. Das habe ich jetzt im Supercup gesehen, die waren schon wieder richtig gut. Also Stuttgart wird nicht abschmieren, aber Dortmund sehe ich noch stärker.

Warum?

Dortmund hat jetzt einen Trainer, dem ich viel mehr zutraue als vorher Edin Terzic. Und sie haben endlich einen Kader zusammengestellt, der Sinn macht. Wo du das Gefühl hast, sie haben wirklich ihre schwachen Stellen bearbeitet. Deswegen sehe ich den BVB nur ganz knapp hinter Bayern und Leverkusen. Sollten die beiden schwächeln, könnte Dortmund das Dark Horse sein in diesem Jahr.

Und RB Leipzig?

Leipzig hat Dani Olmo verloren, das ist ein grosser Abgang. Mal sehen, wie sie das verkraften, aber um Platz 4 werden sie sicher mitspielen.

Haben Sie sonst noch ein Überraschungsteam auf dem Zettel, das vorne mitspielen könnte?

Nein, die fünf da vorne sind zu stark. In einem Spiel kann jeder jeden schlagen, aber über 34 Spiele sehe ich keine andere Mannschaft, die das noch einmal machen könnte, was Stuttgart vergangene Saison gemacht hat. Das war wirklich sensationell, aber da sehe ich im Moment kein Potenzial bei anderen Teams.

14 Schweizer Spieler sind in der Bundesliga dabei. Der eine oder andere wird um seinen Platz kämpfen müssen. Leonidas Stergiou und Fabian Rieder bei Stuttgart oder auch Aurèle Amenda in Frankfurt. Werden sie sich durchsetzen können?

Von ihren Möglichkeiten, ihrem Talent, ihrem Können, ja. Aber sie müssen halt akzeptieren, dass das eine andere Welt ist. Und die Bundesliga doch eine andere Herausforderung ist. Sie müssen zeigen, dass sie das Niveau haben. Nicht weil sie Schweizer sind, das geht jedem so. Aber man traut es ihnen zu, sonst hätte man sie nicht geholt.

Speziell könnte die Saison auch für Gregor Kobel werden. Er hat jetzt Yann Sommer als Nummer 1 der Nati abgelöst. Gibt ihm das einen zusätzlichen Druck in Dortmund?

Gregor Kobel und Druck – das habe ich noch nie gesehen. Den macht er sich höchstens selber manchmal, wenn er von hinten Bälle rausspielen will, die man vielleicht lieber nicht rausspielen sollte. Ansonsten ist er so ein gestandener Goalie, der nun zum wiederholten Mal zum besten Torhüter der Liga gewählt wurde. Dass er jetzt die Nummer 1 in der Nati ist, wird ihn eher beflügeln. Das war sein Ziel, das war sein Traum. Jetzt darf er nur nicht satt werden, aber die Befürchtung habe ich bei ihm nicht.

Mit Gerardo Seoane ist auch ein Schweizer Trainer weiter in der Bundesliga tätig. Die letzte Saison mit Borussia Mönchengladbach war schwierig. Wird es jetzt besser?

Der Kredit ist nun aufgebraucht, jetzt muss er liefern. Gladbach ist in einem totalen Umbruch. Viele Spieler wollen weg, wie und mit wem willst du da etwas aufbauen? Ich bin mal vorsichtig und sage, das wird spannend. Es ist eine riesige Aufgabe für Seoane. Wenn es nicht sehr schnell rundläuft, glaube ich, werden wir uns bald neu unterhalten.

Mit Kiel und St. Pauli sind zwei neue Teams in der Liga. Sind sie auch die grössten Abstiegskandidaten?

Kiel und St. Pauli sind zwei echte Aufsteiger. Das sind nicht Rückkehrer, die nur mal eine Pause gemacht haben in der zweiten Liga, aber eigentlich in die Bundesliga gehören. Das sind zwei echte Zweitligisten, die aufgestiegen sind. Die Schere zwischen erster Liga und zweiter Liga geht jedes Jahr weiter auseinander. Wenn Kiel oder St. Pauli drin bleiben, wäre das für die wie der Gewinn des Meistertitels. Ich sehe die Chancen aber sehr, sehr gering.

Wer könnte sonst noch unten reinrutschen?

Für Heidenheim, auch so ein kleiner Klub, ist es die zweite Saison nach dem Aufstieg. Bei denen ist gewildert worden, sie mussten gute Spieler abgeben, weil die anderen Teams halt die besseren finanziellen Möglichkeiten haben. Das ist gefährlich. Auch Bochum wird da hinten rumturnen. Aber jetzt machen wir einen Satz noch andersrum.

Bitte.

Das Drehbuch sieht so aus: Kiel und St. Pauli steigen ab. Wenn die sich aber nicht an das Drehbuch halten, wird es gefährlich für die Vereine, die jetzt glauben, dass Kiel und St. Pauli sowieso absteigen. Das hat es schon oft gegeben, dann wachen sie irgendwann bei Spieltag 20 auf und sagen: «Du sag mal, das läuft aber ganz schlecht hier.» Gladbach, Union Berlin und noch weitere Vereine werden aufpassen müssen, dass sie ihren Job machen und sich die anderen da unten ans Drehbuch halten.


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