Benito zum Zuschauen verdammt «Um damit umgehen zu können, muss man es zuerst akzeptieren»

sda

1.10.2024 - 05:00

Loris Benito ist in der Champions League schon wieder zum Zuschauen gezwungen.
Loris Benito ist in der Champions League schon wieder zum Zuschauen gezwungen.
Bild: Keystone

Loris Benito verpasst das Champions-League-Duell mit Herzensklub Barcelona. Der YB-Captain erzählt, wie er gelernt hat, mit Enttäuschungen umzugehen und was Ukeireru damit zu tun hat.

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Das Medieninteresse an YB scheint an diesem spielfreien Tag grösser zu sein als sonst. Das meint jedenfalls die Stadion-Mitarbeiterin, die am Marathon-Tor schon wieder einen Journalisten entdeckt, der sich zögerlich umschaut. Was denn Besonderes los sei, will sie wissen. Mit der Antwort, Loris Benito sei ins Team zurückgekehrt, kann sie allerdings wenig anfangen. Mit hochgezogenen Augenbrauen entgegnet sie: «Loris war nie weg.»



Eine Aussage, die wohl jeder im Team bestätigen würde. Obwohl er sich Anfang Februar das Kreuzband riss und für den Rest der Saison ausfiel, suchte Benito immer die Nähe zu seinen Mitspielern. «Er hat eine sehr wichtige Rolle in dieser Mannschaft», sagt Trainer Patrick Rahmen über den Captain. «Und solange er diese nicht auf dem Spielfeld ausleben konnte, tat er es in der Kabine.»

Ab und zu mal hallo zu sagen wäre Benito während seiner Verletzungspause zu wenig gewesen. Er will wissen, was im Team los ist, will sich einbringen und seine Erfahrungen weitergeben. Er will den Puls der Mannschaft spüren, mit der er schon so viele Erfolge gefeiert hat. Gerade wegen dieser Identifikation wird er im ganzen Verein sehr geschätzt.

Rivaldo als Kindheitsidol

Als Benito auf die Begegnung mit der Stadion-Mitarbeiterin angesprochen wird, freut er sich sichtlich über deren Reaktion. «Es ist schön, dass die Leute mich auch während meiner Verletzung so aktiv wahrgenommen haben.» Er habe immer versucht, «gute Energie» zu verbreiten. «Aber das ist natürlich nicht das Gleiche, wenn du nicht ins Spielgeschehen eingreifen kannst.» Umso mehr freute er sich, dass dies endlich wieder möglich war.

Am 14. September stand Benito im Cup gegen Vevey (4:2) erstmals seit dem 3. Februar wieder für die A-Mannschaft auf dem Platz. Offenbar gerade rechtzeitig für ein besonderes Highlight. Am Dienstag trifft YB auswärts auf das grosse Barcelona, jene Mannschaft, die seine Liebe zum Fussball geweckt hat. Als Sohn spanischer Eltern war er der La Liga schon immer nahe. Bei Barcelona begeisterte ihn vor allem der Brasilianer Rivaldo, der von 1997 bis 2002 für die Katalanen spielte und Benitos grosses Kindheitsidol wurde.

Deshalb sei das Spiel etwas ganz Besonderes für ihn, und er freue sich, wieder fit zu sein, sagt Benito. Was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiss: Am Samstag zieht er sich bei der 0:1-Niederlage gegen GC eine Muskelverletzung im linken Oberschenkel zu. Am Sonntag teilt der Verein mit, dass Benito die Reise nach Spanien nicht antreten kann. Es ist die nächste bittere Enttäuschung nach einer langen Leidenszeit.

Japanische Einstellung verinnerlicht

Um die mentale Verfassung des Verteidigers muss man sich aber keine Sorgen machen. Denn Benito hat im Laufe seiner Karriere gelernt zu akzeptieren. So auch im Februar, als er im Spiel gegen Lausanne-Sport sofort merkte, dass sein Kreuzband gerissen war. Damit verpasste er nicht nur den Rest der Saison bei YB, sondern auch die Chance, mit der Schweiz an die EM in Deutschland zu fahren. Statt in Selbstmitleid zu versinken, sagte er sich nach der Diagnose: «Das ist Tag eins meiner Rückkehr.»

Was ihm über die Enttäuschung hinweggeholfen hat, hat sich Benito inzwischen auf den Oberarm tätowieren lassen: Ukeireru. Ukeireru ist eine japanische Kunst der Akzeptanz, bei der es darum geht, die äusseren Umstände so zu akzeptieren, wie sie sind. «Um mit einer Situation umgehen zu können, ist es wichtig, sie erst einmal zu akzeptieren», erklärt Benito. Das ist manchmal leichter gesagt als getan. «Dann geht es darum, nach vorne zu schauen und sich auf das zu konzentrieren, was man beeinflussen kann.»

Eine Einstellung, die Benito im Laufe der Jahre lernen konnte und musste. Denn mit Rückschlägen kennt sich der Aarauer aus. Bereits 2016 riss ein Kreuzband und fiel er fast ein Jahr aus. Kurz nach seinem Comeback brach er sich den Mittelfuss und musste erneut pausieren. Oder 2021, als er seinen Vertrag bei Bordeaux auflöste, aber keinen neuen Verein fand und ein halbes Jahr arbeitslos war. Er habe gelernt, solche schwierigen Phasen «als Geschenk» anzunehmen. «Fussball bestimmt mein Leben, aber Fussball ist nicht alles in meinem Leben.» So genoss er es, in den Pausen mehr Zeit für Freunde und Familie zu haben.

Schon fast ein Berner geworden

Mit der japanischen Kultur setzt sich Benito auseinander, seit er 2014 zum ersten Mal ins Ausland wechselte (Benfica Lissabon) und plötzlich auf sich allein gestellt war. In Lebensphilosophien wie Ikigai oder eben Ukeireru findet er die nötige Ruhe und Gelassenheit im sonst so turbulenten Fussballerleben. Auch dank dieser Ausgeglichenheit ist er ein wichtiger und verlässlicher Leader bei den Bernern, die ihren Abwehrchef in der schwierigen Anfangsphase der Saison schmerzlich vermisst hatten.

Benito spielt mit Unterbruch seine siebte Saison bei YB, und es sollen noch mehr werden; der 32-Jährige hat seinen Vertrag kürzlich bis Sommer 2026 verlängert, mit Option auf ein weiteres Jahr. Der Aargauer fühlt sich in Bern sehr wohl, geht in seiner Freizeit gerne in der Aare baden oder ist auch mal am Gurten-Festival anzutreffen.

Was danach kommt, weiss Benito noch nicht genau. Fussball ist sein Spezialgebiet, aber einen so zeitintensiven Job wie jetzt als Spieler, sprich Trainer, kann er sich derzeit nicht vorstellen. Und überhaupt lebt Benito lieber in der Gegenwart als in der Zukunft. Auch wenn die Gegenwart statt einer Reise nach Barcelona wieder einen «Tag eins seiner Rückkehr» bereithält.

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