Der Olympia Bobrun in St. Moritz ist die Wiege des rasanten Sports – und die einzige übrig gebliebene Natureis-Bahn der Welt. Die Schweizer Piloten erlebten hier viele Triumphe und ein paar Tragödien.
Zum 20. Mal finden aktuell die Bob-Weltmeisterschaften in St. Moritz statt – kein anderer Ort hat öfter Titelkämpfe ausgerichtet. Zudem feiert der St. Moritz Bobsleigh Club (SMBC) in diesem Winter sein 125-jähriges Bestehen. Zeit für einen kleinen Rückblick in Stichworten:
Englische Starthilfe
Der Start ist für den Erfolg im Bobsport essenziell. Das gilt auch für die Geschichte im Engadin. Es waren – wie so oft im alpinen Tourismus – die Engländer, die den Klub während Jahrzehnten geprägt haben. Angefangen hatten sie 1885 mit Skeleton – benannt nach dem Stahlgerüst der neuartigen Schlitten – im Cresta Run. Bald kamen die meist betuchten und etwas gelangweilten Gäste von der Insel auf die Idee, zwei Schlitten zusammen zu binden, hinten mit einer festen Achse, auf der man sass, vorne mit einer beweglichen, um zu steuern. Diese brauchten erst einen eigenen Klub, dann eine andere Bahn.
Am 21. Dezember 1897 fand im Hotel Kulm die Gründung des St. Moritz Bobsleigh Club statt, am 5. Januar 1898 das erste Rennen. Der Olympia Bobrun von St. Moritz nach Celerina auf dem weitläufigen Gelände des Nobelhotels wurde dann aber erst 1904 eröffnet. Bob war damals noch eher gesellschaftliches Vergnügen als Sport. Die Engländer blieben tonangebend, bis 1969 waren alle Präsidenten Briten.
Frühe Frauenquote
Die ersten Weltmeisterschaften in St. Moritz mit Frauenbeteiligung fanden erst 2001 statt, mit der Bündnerin Françoise Burdet als Siegerin. In den Anfängen waren die Frauen allerdings heiss begehrt. In den ersten Statuten des SMBC steht, dass im fünfköpfigen Vorstand mindestens zwei Frauen Einsatz nehmen müssen und auf den frühen Viererbobs mussten mindestens zwei Frauen mitfahren (oder auch lenken). Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Sport als zu rasant und gefährlich für Frauen eingestuft.
Südtiroler Handarbeit
Im Gegensatz zu den seit vielen Jahren weltweit üblichen Kunsteisbahnen wird der Eiskanal im Engadin jedes Jahr neu gebaut – und ist deshalb auch jedes Jahr ein bisschen anders, weshalb es nur Jahresbestzeiten, aber keine Bahnrekorde gibt. Rund 5000 Kubikmeter Schnee und 10'000 Kubikmeter Wasser werden dafür gebraucht. Da es kalt genug sein muss, steht die Bahn jeweils frühestens kurz vor Weihnachten zur Verfügung, spätestens Anfang März ist Schluss.
Der Bau ist echte Handarbeit, Schaufeln und Wasserschlauch sind die wichtigsten Hilfsmittel für die «grösste Eisskulptur der Welt», wie der Bobrun gerne genannt wird. Seit vielen Jahren sind Südtiroler für dieses anspruchsvolle Handwerk verantwortlich, viele davon aus Naturns im Vinschgau und als eine echte Familientradition. Die Bahnbauer bleiben während der ganzen Betriebszeit vor Ort und bringen die Bahn jeden Tag wieder in Schuss.
1986 gab es ein Projekt für eine 12 Millionen Franken teure Kunsteisbahn am gleichen Ort, das von der Stimmbevölkerung abgelehnt wurde – durchaus zur Freude der Bobfans und Fahrer. So soll der mehrfache ostdeutsche Olympiasieger Wolfgang Hoppe dem damaligen Speaker gesagt haben, er solle alles in seiner Macht stehende unternehmen, um die Natureis-Bahn zu erhalten.
Misserfolge und Triumphe
Nicht immer waren die Schweizer auf der Heim-Bahn erfolgreich. Seit dem Zweiten Weltkrieg, seitdem alle Disziplinen am gleichen Ort stattfinden, blieb man allerdings nur zweimal, 1959 und 1965, gänzlich ohne Medaille. Die goldenen Jahre erlebte man von 1982 bis 1997. An drei aufeinanderfolgenden Weltmeisterschaften im Engadin holten Schweizer Bobs beide Titel, und 1997 wurde man nur vom Reglement in die Knie gezwungen. Nach Reto Götschis Sieg im Zweier, feierten Götschi, Christian Reich und Marcel Rohner im Vierer einen Dreifach-Sieg – bis die Achsen der Schweizer Schlitten als nicht reglementskonform taxiert und alle drei disqualifiziert wurden.
Seither ist die deutsche Dominanz grösser und sind Schweizer Erfolge seltener geworden. Den letzten WM-Titel im eigenen Land holte der Schwyzer Ivo Rüegg 2007 im Vierer, die letzte Medaille Beat Hefti/Thomas Lamparter 2013 mit Silber im Zweier – bis zur Bronzemedaille von Michael Vogt/Sandro Michel am letzten Sonntag. Am nächsten Wochenende folgen noch einmal zwei Chancen (Zweier Frauen, Vierer Männer).
Eine echte Olympia-Bahn
In manchen Ländern wird die Bezeichnung «olympisch» geradezu inflationär an Sportstätten verliehen, der Olympia Bob Run verdient diese aber zu hundert Prozent. 1928 fanden die zweiten Olympischen Winterspiele statt (ohne Schweizer Edelmetall), 1948 bei den ersten Spielen nach dem Krieg sorgten der fünf Jahre später viel zu früh durch einen Genickbruch beim Bobfahren verstorbene Zürcher Felix Endrich und der Engelberger Fritz Feierabend für einen Schweizer Doppelsieg im Zweier.
ck, sda