Sie kennen sich von Kindesbeinen an. Sie spielten oft im selben Team, aber auch gegeneinander. Sie bezeichnen sich als Freunde, aber sind auch Konkurrenten: Reto Berra und Leonardo Genoni, unser starkes Goalie-Duo an der Eishockey-WM.
Nach 2014, 2015, 2018 und 2019 sind Berra und Genoni aktuell in Riga zum fünften Mal gemeinsam an einer WM. Für den 34-jährigen Berra wird es insgesamt die achte WM sein, für den 33-jährigen Genoni die siebte. «Es ist immer schön, gemeinsam mit Leo an einer WM zu sein. Es ist nicht immer so, dass man es so gut zusammen hat, wenn man gleichzeitig auch Konkurrent ist, denn im Tor stehen kann immer nur einer», sagt Berra voller Vorfreude.
Diese hat auch Genoni: «Es ist immer schön, wenn wir uns treffen und in der gleichen Mannschaft spielen können. Für beide ist es eine grosse Ehre die Schweiz zu repräsentieren und wir geben natürlich unser Bestes, damit es gut herauskommt.» Sie hätten schon als Teenager in den Novizen und den Elite-Junioren des ZSC, nachdem Berra von Bülach zum Team gewechselt habe, eine coole gemeinsame Zeit gehabt, betonen beide. Und daraus sei eine Freundschaft entstanden.
Zusammen wechselten sie 2007 auch von der ZSC-Organisation nach Davos. Erst 2009 trennten sich nach knapp zehn Jahren ihre Wege wieder. Berra hat es via Biel bis in die NHL (Calgary, Colorado, Florida, Anaheim) geschafft, ist inzwischen aber in die Schweiz zurückgekehrt und verdient seine Brötchen bei Fribourg. Genoni blieb noch bis 2016 in Davos, ehe er via Bern den Weg zu seinem aktuellen Arbeitgeber Zug fand, mit dem er eben erst seinen sechsten persönlichen Meistertitel eingefahren hat.
Die erste Begegnung auf dem Halbfeld bei den Piccolos
«Der private Kontakt ist mit den Jahren weniger geworden und beschränkte sich zuletzt hauptsächlich auf die Nati-Zusammenzüge, zumal Leo eine Grossfamilie mit vielen Kindern hat. Aber zwischendurch gibt es immer wieder mal ein SMS, etwa an Weihnachten oder nach einem guten Spiel», sagt Berra. Daher sei es umso schöner, ergänzt Genoni, wenn sie dann, wie jetzt, wieder mal zusammen im selben Team spielen können: «Wir finden uns jeweils schnell wieder.»
Berra kann sich auch noch gut an seine allererste Begegnung mit Genoni erinnern. Damals waren die beiden heutigen Nati-Goalies noch Buben und spielten in den Piccolos an Turnieren auf dem halben Eisfeld gegeneinander: «Leo fiel dadurch auf, dass hinter seiner Goalie-Maske ein langes Roberto-Baggio-Schwänzchen herausschaute. Das sind meine ersten Erinnerungen an ihn.»
Genoni muss schmunzeln, als er darauf angesprochen wird: «Es war ein Zeitpunkt, zu dem man noch anders ausgesehen hat als heutzutage.» Und erklärt: «Damals war die Hochkonjunktur des italienischen Fussballs und ich habe mich dieser mit der Frisur angepasst.» Roberto Baggio war in den 90er-Jahren eine italienische Ikone und neben seinen fussballerischen Leistungen sorgte er mit dem «Divin Codino» (göttlichen Zöpfchen) für viel Publizität.
«Leo ist sechsfacher Meistergoalie, das ist Weltklasse»
Die Ausgangslage vor der WM in Riga, die für die Schweiz am Samstag mit der Partie gegen Tschechien beginnt, scheint klar zu sein. Genoni dürfte nach seinen zuletzt überragenden Leistungen in den Playoffs die Nummer 1 sein, Reto Berra die Nummer 2, die ebenfalls regelmässig zu Einsätzen kommen wird, und Neuling Melvin Nyffeler die Nummer 3.
Berra sagt dazu: «Leo ist mittlerweile sechsfacher Meistergoalie, das ist Weltklasse. Und er ist in Topform, darüber müssen wir nicht diskutieren. Für die WM sind wir ein sehr gutes Duo und werden, so glaube ich, beide zu unseren Spielen kommen. Wichtig für ein erfolgreiches Turnier ist ohnehin, dass man nicht auf sich schaut, sondern den anderen unterstützt. Dann können wir als Mannschaft Grosses erreichen.»
Genoni ist keiner, der in der Öffentlichkeit mit grossen Sprüchen und Forderungen um sich schlägt. Entsprechend selbstlos gibt er sich bei seiner Beurteilung der Goalie-Situation: «Ich glaube, es ist alles offen. Alle drei Goalies haben in den Testspielen gegen Lettland am letzten Wochenende gute Leistungen gezeigt. Wir wollen Patrick Fischer den Entscheid, wen er einsetzen will, so schwer wie möglich machen und ich bin froh, dass nicht ich diesen Entscheid fällen muss.»
«Erhalte ich ein dummes Gegentor, werde ich abgesägt»
Die vielen Lobeshymnen, die Genoni im Rahmen seines jüngsten Meisterstreichs vor knapp zwei Wochen erhalten hat, bekam zwar auch er mit, aber sie haben sein Ego nicht grösser gemacht: «Sicher habe ich den Moment genossen, aber deswegen hebe ich nicht ab, dafür bin ich schon zu lange dabei. Ich weiss, wie es läuft in diesem Business – erhalte ich ein dummes Gegentor, werde ich dann wieder abgesägt.»
Innert kürzester Zeit die Spannung nach einem Playoff-Triumph abzubauen, die ganzen Emotionen zu verarbeiten und anschliessend für die WM wieder hochzufahren, ist für Genoni auch nach sechs Meistertiteln und mit all seiner Routine nicht einfach: «Jeder Meistertitel hat seine eigene Geschichte. Es ist eine grosse Herausforderung da jeweils zu erden und anschliessend wieder zu laden, um beim WM-Start bereit zu sein.» Sorgen, dass unser starkes Goalie-Duo am Samstag nicht bereit sein könnte, gibt es aber dennoch keine.