Seitdem Nico Hischier 2017 als Nummer 1 gezogen worden ist, wird kein Schweizer mehr im NHL-Draft in der ersten Runde berücksichtigt. Das könnte sich dank Lian Bichsel ändern.
Von 2008 bis 2017 wählten die Verantwortlichen der NHL-Franchisen nicht weniger als siebenmal einen Schweizer in der ersten Runde. Seither wurde einzig noch Janis Moser im vergangenen Jahr als Nummer 60 in den Top 100 gezogen, 2020 ging die Schweiz zum ersten Mal nach 2009 im NHL-Draft leer aus.
Nun stehen die Chancen gut, dass Lian Bichsel in der ersten Runde zum Zug kommt – jedenfalls stufen ihn viele Experten so hoch ein. «Das wäre etwas sehr Spezielles», sagt der 18-jährige Verteidiger im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Er betont aber, dass es bloss der Draft sei, der Grossteil der Arbeit noch folge.
Bichsel wurde im Rahmen des «Draft-Combine» Ende Mai/Anfang Juni in Buffalo von sämtlichen 32 NHL-Teams zu einem Gespräch eingeladen. «Es waren im Grossen und Ganzen routinemässige Fragen», erzählt der Solothurner. Nach den Interviews standen Fitnesstests im Programm. Am Mittwochmorgen reiste er nach Montreal, wo am Donnerstag und Freitag der Draft über die Bühne geht. Der Rückflug ist bereits am Freitagabend geplant. Er geht das Ganze seinem Naturell entsprechend gelassen an.
Leksand statt Biel
Bichsel debütierte am 15. Dezember 2020 im Alter von 16 Jahren bei Biel in der National League. In der damaligen Saison stand er viermal im Aufgebot der ersten Mannschaft der Seeländer, kam jedoch insgesamt nur während 3:10 Minuten zum Einsatz, was für ihn nicht nachvollziehbar war. Zwar wäre er in der darauffolgenden Spielzeit im Fanionteam der Bieler eingeplant gewesen, er entschied sich allerdings früh, etwas Neues zu suchen. Letztendlich schloss er sich dem schwedischen Verein Leksand an, obwohl auch Nordamerika eine Option gewesen wäre. «Ich wollte mich an einem neuen Ort zeigen, neue Trainer haben, und Schweden passte mir als Land viel besser», sagt Bichsel. Ausserdem ist das skandinavische Land bekannt für eine gute Nachwuchsförderung.
Der Entscheid entpuppte sich als goldrichtig, umso mehr als Bichsel zur eigenen Überraschung nicht mehrheitlich bei den Junioren, sondern in der SHL spielte. Er bestritt 29 Partien in der ersten Mannschaft, in denen ihm ein Tor und zwei Assists gelangen. Im Durchschnitt kam er während 11:48 Minuten zum Zug. «Ich lernte spielerisch extrem viel», sagt Bichsel – auch weil er Fehler machen durfte. Im mentalen Bereich half ihm der Wechsel ebenfalls. Er wohnte alleine, kochte und wusch selber. «Das war für mich keine grosse Herausforderung. Zudem fand ich rasch Anschluss.»
Mit Hedman verglichen
Leksands Cheftrainer Björn Hellkvist zeigte sich begeistert von Bichsel, insbesondere von dessen Selbstvertrauen. Der Zeitung «Expressen» sagte er, dass es selten vorkomme, einem so grossen Talent über den Weg zu laufen. Der nach einer Schnupperwoche in Olten zum Eishockey gekommene Schweizer wurde in Medien gar mit Victor Hedman von den Tampa Bay Lightning verglichen, einem der unbestritten besten Verteidiger der Welt. Das findet der junge Schweizer zwar schön zu hören, mehr aber auch nicht.
Zum grossen Selbstvertrauen sagt Bichsel: «Sonst wäre ich nicht nach Schweden gegangen.» Zu seinen Stärken gehört das physische Spiel. Er geht den Gegnern «unter die Haut», wobei er von seiner Grösse von 1,96 Meter und dem Gewicht von 102 Kilogramm profitiert. Seine Reichweite macht es für die Gegner schwierig, an ihm vorbeizukommen. Zudem wird er noch an Kraft zulegen; aktuell schafft er beim Bankdrücken 100 Kilogramm. Dass er während zwei, drei Jahren enorm gewachsen war, bereitete ihm keine grossen Probleme, «da ich immer extrem auf meinen Körper geschaut habe».
Bichsel setzt sich selbstredend hohe Ziele. Diese behält er aber für sich. Überhaupt ist er ein ruhiger Typ. Ein spezielles Vorbild hat er nicht, solche sind für ihn alle, die in der NHL oder National League spielen. «Wie sie ihren Weg gemacht haben, das beeindruckt mich», sagt Bichsel. Beeindruckend ist auch seine Entwicklung. Gelingt es ihm, im offensiven Bereich noch zuzulegen, spricht wenig gegen eine schöne Karriere in der NHL.
sda