Eltern glaubten an einen Witz Der steile Aufstieg von Luganos Trainer-Jungspund Gianinazzi

bi, sda

23.11.2022 - 21:45

Seit dem letzten Meistertitel 2006 setzte Lugano auf 16 ausgewiesene Trainer. Nur einer, Patrick Fischer, hielt sich länger als anderthalb Saisons. Mit Luca Gianinazzi (29) soll alles anders werden.

Keystone-SDA, bi, sda

Ivano Zanatta, Kent Ruhnke, John Slettvoll, Hannu Virta, Kent Johansson, Philippe Bozon, Mike McNamara, Greg Ireland, Barry Smith, Larry Huras, Patrick Fischer, Doug Shedden, wieder Ireland, Sami Kapanen, Serge Pelletier, Chris McSorley – das die Liste der gescheiterten HC-Lugano-Trainer seit 2006. Ausnahmslos grosse Namen! Unvergessen die Episode um NHL-General Barry Smith. Der fünffache Stanley-Cup-Sieger wirft im Oktober 2011 nach etwas mehr als einem Monat aus freien Stücken das Handtuch. Er wirft der Mannschaft vor, «untrainierbar» zu sein.

Damals, vor elf Jahren, verteidigt Luca Gianinazzi, der heutige Trainer Luganos, noch für die Elitejunioren des HCL. Kein grosses Talent, läuferisch und technisch limitiert, aber mit viel Willen. Er träumt von einer Profikarriere – und schafft es unter Larry Huras zu vier National-League-Einsätzen. Regelmässig, in insgesamt 66 Partien, spielt er nur in der Swiss League, zuerst bei Visp, später bei Thurgau und den Biasca Ticino Rockets. Nach der Saison in Thurgau erhält Gianinazzi keinen Vertrag mehr. Er versucht es in der zweithöchsten finnischen Liga bei Savonlinna. Er hätte ohne Lohn nur für Kost und Logis angeheuert – aber die Finnen wollten ihn nicht.

Für Kost und Logis

Diese Episode zeigt aber, wie Gianinazzi tickt. «Wenn ich etwas will, dann lasse ich mir das nicht ausreden.» Und er weiss früh, dass er Trainer sein will. Gianinazzi: «Schon als Spieler dachte ich wie ein Trainer – hatte Ideen, die ich einbringen wollte.»

In den letzten Jahren ging dann alles super-schnell. 2017 erhielt er die Chance, in Lugano als Juniorentrainer anzufangen. Ein Jahr wollte er sich Zeit geben, ob ihm das gefällt. Gianinazzi: «Aber nach dem ersten Training wusste ich: 'Das ist es!'» Später plante er eine dreijährige Ausbildung an der University of Hockey in Vierumäki, Finnland. Das liess er aber sein, weil in Lugano die Trainerstelle bei den U20-Elite-Junioren frei wurde. Nach gut drei Jahren beförderten sie ihn Lugano am 8. Oktober 2022 vom Juniorentrainer zum Nachfolger von Chris McSorley – und sorgen so für einen der extremsten Kurswechsel in der Geschichte der National League.

Der Lachanfall

Gianinazzis Eltern ging es an diesem 8. Oktober ähnlich wie anderen. Sie bekamen einen Lachanfall, glaubten an einen Witz – oder bestenfalls an eine kurzfristige, interimistische Job-Möglichkeit. Die warnenden Stimmen (Ist das nicht zu früh?) schlug Gianinazzi in den Wind. Eine solche Chance lässt er sich drei Monate vor seinem 30. Geburtstag nicht entgehen – auch wenn er als jüngster und unerfahrenster Trainer in der jüngeren Geschichte des Schweizer Eishockeys wenig Kredit geniesst und ein Drittel der Profis älter ist als er.

Seit Dienstagabend, seit dem 5:2 gegen Langnau, steht der HC Lugano unter Gianinazzi wieder mit ausgeglichener Bilanz da. Sechs der ersten acht Spiele verloren Gianinazzi und Lugano; nach den Niederlagen in Langnau (1:6) und bei Ajoie (1:4) und dem Abrutschen auf den letzten Platz spekulierten die Tessiner Medien bereits, wie lange Luganos Führung da noch zusehen wird. Seither gewann Lugano aber fünf seiner sechs Spiele. Lugano ist jetzt wieder Zehnter, belegt einen Playoff-Platz und überholte Ambri-Piotta, das Anfang November noch neun Punkte vor dem Erzrivalen lag.

«Ich bin zufrieden, wie es läuft. Es läuft immer besser», sagt Gianinazzi. «Wir haben die Spielweise umgestellt. Das beanspruchte Zeit. Aber letztlich wollen wir alle das Gleiche. Wir wollen gewinnen und gut sein. Noch gibt es viel, das wir besser machen können. Aber die Richtung stimmt.»

Verwaltungsrat verlangte Mut

Gute Ergebnisse erfreuen in Lugano sowieso alle. Sportchef Hnat Domenichelli erklärte klipp und klar, dass Gianinazzi kein Notnagel sei und auch nächste Saison noch an der Bande stehen wird. Gianinazzi sei der letzte Trainer, den er in Lugano angestellt habe. Auch Marco Werder, der CEO, schwärmt von Gianinazzi: «Der Verwaltungsrat gab uns den Auftrag, mutige Entscheide zu fällen. Zudem ist Luca Gianinazzi ein hauseigenes Produkt und ein grosses Talent. Für den HC Lugano ist das eine wichtige Kehrtwende. Wir wollten einen Trainer verpflichten, der die Kultur des Klubs, aber auch der Region in sich trägt.»

Und wenn es doch nicht funktioniert? Dann wird Domenichelli doch wieder einen neuen Trainer anstellen – wie es Lugano in den letzten 17 Jahren schon so oft gemacht hat. «Und ich hätte viel gelernt», so Gianinazzi. «In jedem Spiel und von jedem Gegner kannst du etwas Neues lernen. Ich befasse mich sehr viel mit anderen Trainern. Ich lese viel, höre mir an, was die NHL-Trainer sagen. Ich gebe sowieso mein Bestes. Wenn es nicht hinhaut, werde ich mir keine Vorwürfe machen. Denn mehr als das Beste kann keiner geben.»