Wie vor fünf Jahren verabschiedet sich die Schweiz nach der Gruppenphase von einer Frauen-EM. Um den nächsten Schritt zu machen, scheinen strukturelle Veränderungen unumgänglich.
Das EM-Abenteuer der Schweiz ist zu Ende – nach drei Partien, einem Unentschieden gegen Portugal und zwei Niederlagen gegen Schweden und die Niederlande. Ein Punkt ist eine unbefriedigende Ausbeute, wobei schon bei der Auslosung klar war, dass das Weiterkommen der Schweizerinnen in Anbetracht der Klasse des WM-Dritten Schweden und des Titelverteidigers Niederlande einer Überraschung gleichkommen würde.
Im SFV-Lager war das Hadern jeweils gross nach den Spielen. Gegen Portugal, weil eine 2:0-Führung leichtfertig verspielt wurde. Gegen Schweden, weil es nur fast zu einem Unentschieden reichte. Und gegen die Niederlande, weil man sich im Vergleich zur Partie gegen die Skandinavierinnen noch einmal steigern konnte und mit mehr Wettkampfglück der Verbleib im Turnier und ein Viertelfinal gegen Frankreich am kommenden Samstag durchaus möglich gewesen wären.
Nach der Gruppenphase lässt sich ganz nüchtern konstatieren, dass das Schweizer Team selbst bei einem Sieg gegen die unerschrockenen Portugiesinnen, die nur aufgrund des Ausschlusses Russlands überhaupt an dieser Europameisterschaft teilnehmen durften, und einem Punktgewinn gegen Schweden am Montag um 14 Uhr im Flugzeug Richtung Zürich sitzen würde. Mit einem Exploit gegen die «Oranje Leeuwinnen», die seit ihrem Titelgewinn 2017 keinen Ernstkampf gegen ein europäisches Team verloren haben, hätten die Schweizerinnen ihr Abenteuer auf der Insel aber fortsetzen können. An so einem Exploit waren sie näher dran, als vor der Partie hätte vermutet werden können.
Jünger und unerfahrener
Überhaupt ist beachtlich, wie sich das Team von Partie zu Partie steigern konnte. Nach dem Ausbruch eines Magen-Darm-Virus, von dem neun Spielerinnen und etliche Staffmitglieder betroffen waren, schien es schon aus körperlicher und gesundheitlicher Sicht unmöglich, dass das Schweizer Team auf einem Niveau würde agieren können, um auch europäischen Topteams Paroli bieten zu können. Doch es gelang, was belegt, welches Potenzial in diesem Team steckt – wenn es denn abgerufen wird, was der 2022 noch sieglosen Schweiz zuletzt zu wenig gelungen ist.
Dass der SFV-Auswahl diesbezüglich die Konstanz fehlt, ist augenscheinlich, aber auch erklärbar. Im Vergleich zur EM-Premiere 2017 ist die Ausgabe 2022 jünger und unerfahrener. Damalige Führungsspielerinnen wie Martina Moser, Caroline Abbé und die erst kürzlich als Rekordnationalspielerin abgelöste Lara Dickenmann sind nicht mehr dabei. Die Lücke, die sie hinterlassen haben, müssen jüngere Spielerinnen füllen, die sich noch nicht auf diesem Niveau bewegen. Das braucht Zeit.
Wenn zudem Leistungsträgerinnen wie Captain Lia Wälti und Ana-Maria Crnogorcevic verletzungs- oder krankheitshalber nicht ganz ihr übliches Niveau erreichen, ist das für eine kleine Nation wie die Schweiz unmöglich zu kaschieren.
X-Faktor Nachwuchsförderung
Die fehlende Breite, um an einem internationalen Turnier bestehen zu können, ist eine direkte Folge dessen, was im Bereich des Frauenfussballs in der Schweiz seit längerem grosse Probleme sind: Die Nachwuchsförderung und die Infrastruktur. Während es in anderen europäischen Ländern wie England, Frankreich, Deutschland, Spanien oder Italien üblich ist, dass Mädchen und Frauen von derselben fussballerischen Ausbildung und Infrastruktur profitieren wie ihre männlichen Kollegen, ist diese Gleichstellung auf Klubebene in der Schweiz keineswegs erreicht.
Gleiches gilt für die Tatsache, dass Fussball für Frauen in der Schweiz auch auf dem höchsten Niveau meist ein Hobby ist, daneben der Lebensunterhalt in einem klassischen Job verdient werden muss. Diese Faktoren lassen die Lücke der Schweiz zum Ausland grösser werden. Dass diese Entwicklung auch im Nationalteam spürbar ist, scheint logisch.
Für das Schweizer Team dürfte es jedenfalls in naher Zukunft nicht zur Selbstverständlichkeit werden, bei grossen Turnieren dabei zu sein, was nicht zuletzt die laufende WM-Qualifikation zeigt. Im September stehen die letzten zwei Partien in Kroatien und zuhause gegen Moldawien an. Stolpert das zwei Punkte davor liegende Italien nicht unerwartet und lässt sich die Schweiz nicht ebenso unerwartet noch von Rumänien vom zweiten Platz verdrängen, muss sie via Barrage versuchen, sich für das Turnier 2023 in Australien und Neuseeland zu qualifizieren.