Trotz misslungenem Start in die EM und einem immerwährenden Diskurs über das Alter des Teams zeigen sich die Kroaten vor der Partie gegen Albanien demonstrativ gelassen.
Natürlich kommt sie wieder, diese Frage, die eigentlich immer irgendwie mitschwingt, wenn es um das kroatische Nationalteam geht. Als Trainer Zlatko Dalic am Samstagabend im Innern des Berliner Olympiastadions sitzt und auf den Auftakt seiner Mannschaft in das EM-Turnier gegen Spanien (0:3) blickt, soll er die Hintergründe erklären, weshalb er Mateo Kovacic und Luka Modric nach 65 Minuten ausgewechselt hat. Der 57-Jährige antwortet mit nichts Überraschendem. Er sagt, er habe den beiden eine Verschnaufpause geben wollen, schliesslich stünden noch zwei wichtige Spiele gegen Albanien und Italien an.
Mi 19.06. 14:30 - 17:30 ∙ SRF zwei ∙ 180 Min
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Nur ein «schlechter Tag»
So weit, so unspektakulär, und schon zigfach gehört im Kontext des fussballerischen Pflichtprogramms Pressekonferenz. Und doch: Wenn Dalic nach den beiden Spielern gefragt wird, die an der Seite von Marcelo Brozovic seit Jahren das Herzstück dieser kroatischen Mannschaft im Mittelfeld bilden, schwingt auf einer impliziten Ebene noch ein Unterton mit.
Der Unterton nach dem Alter und damit die Fragen, welche Medienschaffende im Umkreis der kroatischen Auswahl schon seit Jahren immer wieder stellen. Auch im Wissen darüber, dass sie irgendwann dann schon mit einem «Ja» beantwortet werden können.
Ist diese Mannschaft zu alt? Hat sie ihren Zenit überschritten? Ist die goldene Generation um Luka Modric am Ende ihres internationalen Schaffens angelangt? Wer die erste Halbzeit Kroatiens gegen die Spanier gesehen hat, kann leicht zum Schluss kommen: Ja, ja und ja. Allerdings wäre eine solche Folgerung doch etwas einfach. Und es würden Fakten ausser Acht gelassen, die Trainer Dalic zum Fazit kommen liessen, seine Spieler hätten einfach einen «schlechten Tag» eingezogen.
Die Kroaten waren nämlich unter anderen in drei statistischen Kategorien besser als ihr Gegner. Bei den erwartbaren Toren (2.27 zu 2.11), den Schüssen (16 zu 11) und beim Ballbesitz (54 zu 46 Prozent). Diese Werte zeichnen das Bild eines kroatischen Teams, das mitgespielt hat, das sich Chancen erarbeitet hat, das aber auf einen Gegner getroffen ist, der mit Effizienz geglänzt und mit dem ungewohnt schnellen, vertikalen Spiel phasenweise überrascht hat.
Die speziellen E-Mail-Adressen
An der letzten WM in Katar adelte Dalic sein Dreiermittelfeld mit Modric, Brozovic und Kovacic als das beste der Welt, und Mitspieler Josip Juranovic sorgte im Wüstenstaat für ein schönes Bonmot, als er sagte, der Ball in den Füssen der drei sei sicherer als Geld auf der Bank. Der Wille, die spielerische Extraklasse auch in Deutschland wieder zu zeigen, ist ungebrochen. Modric sagt: «Wir haben bewiesen, dass wir zu den besten Mannschaften dieser Welt gehören können.» Und Trainer Dalic meint: «Wir werden jetzt nicht alles ändern, was wir vorher gut gemacht haben.»
In den Voten ist eine gewisse Gelassenheit zu spüren. Seit Modric die 30-Jahre-Marke überschritten hat, wird über sein Alter und seine Leistungsfähigkeit debattiert. Aber der Akteur von Real Madrid, der in diesem Jahr als Ergänzungsspieler erneut die Champions League und die spanische Meisterschaft gewonnen hat, entgegnet: «Das Alter ist egal. Das Wichtigste ist, wie man sich auf dem Platz präsentiert.»
Modric erinnert an Portugal, das sich 2016 als Gruppendritter ohne Sieg für die Achtelfinals qualifiziert und am Ende den Titel gewonnen hat. Überhaupt sieht der bald 39-Jährige einige Parallelen zu den Portugiesen, die wie sie als geschlossene Einheit aufgetreten seien. «Das ist unsere grösste Stärke», sagt Modric. Und ein Credo, das Kroatien als kleines Land seit jeher verfolgt.
Auch auf Ebenen, die nur untergeordnet mit dem Fussball zu tun haben: Die E-Mail-Adressen der Verbandsmitarbeitenden sind nicht mit der üblichen Endung «.hr» versehen, sondern mit «.family». Und Medienschaffende haben die Möglichkeit, Anfragen für Einzelinterviews zu stellen. Etwas, das im vermehrt durchgetakteten und harmonisierten Business der internationalen Fussballberichterstattung, in dem individuelle Wünsche in der Regel kein Gewicht haben, längst Seltenheitswert hat.
Grosse Unterstützung aus der Heimat
Ein familiäres, nahbares Umfeld zu schaffen, mit dem sich Kroatinnen und Kroaten identifizieren können, ist das A und O. Und es scheint zu gelingen. Rund 75'000 Fans in der charakteristischen rot-weiss karierten Kleidung säumten die Strassen Berlins vor dem EM-Auftakt gegen Spanien. Nur ein Bruchteil von ihnen konnte das Team dann auch im Stadion unterstützen.
Sie träumen davon, dass Kroatien nach den beiden Höhenflügen an den letzten Weltmeisterschaften (Ränge 2 und 3) endlich auch auf europäischem Parkett glänzen kann. Bisher ist der Viertelfinal-Vorstoss 2008 das höchste der Gefühle. Doch erst müssen die «Kockasti» (die Karierten) die Gruppenphase überstehen. Um das Minimalziel Achtelfinal-Qualifikation nicht in Gefahr zu bringen, brauchen sie am Mittwoch (15.00 Uhr) in Hamburg einen Sieg gegen Albanien.
Misslingt dies, dürfte Zlatko Dalic wieder die Frage gestellt bekommen, die bei diesen Kroaten immer irgendwie mitschwingt.