Tumulte nach Spielende überschatten am Samstag die Partie zwischen St. Gallen und Sion. Rassistische Äusserungen und Laute sollen der Auslöser gewesen sein. Doch wo setzt man an, um dem Dauerthema im Sport endlich ein Ende zu setzen?
Schon seit Jahrzehnten lehnen sich insbesondere auch Sportler gegen Rassismus auf. Lewis Hamiltons Helm ist mit dem Hashtag «Black Lives Matter» versehen. Die Bayern-Spieler vertreten bei der Kampagne «Rot gegen Rassismus» unisono dieselbe Meinung, wenn es um Fremdenfeindlichkeit geht und weltweit gehen Sportler aus allen möglichen Ligen und bei Grossanlässen aus Protest gegen Rassismus in die Knie.
Trotzdem scheint die Nachricht bis heute bei vielen Fans noch nicht angekommen. Jüngstes Beispiel sind die tumultartigen Szenen nach dem Spiel zwischen dem FC St. Gallen und dem FC Sion (1:1). Der Torhüter der Walliser, Timothy Fayulu, soll gemäss seinen Angaben von den gegnerischen Fans mit Affenlauten und rassistischen Äusserungen eingedeckt worden sein. Die St. Galler Führungscrew will das nicht wahrhaben. Ihrer Ansicht nach habe Fayulu etwas missverstanden. Was sich im ganzen Chaos im Kybunpark wirklich ereignet hat, wird die Öffentlichkeit wohl nie erfahren.
Auch die Medien tragen ihren Teil bei
Stimmen Fayulus Aussagen, wovon auszugehen ist, wären die Szenen bloss ein weiteres Indiz dafür, dass im Profisport noch immer vieles falsch läuft. Aber nicht bloss in den obersten Ligen ist der Fremdenhass ein Dauerthema, dort ist er lediglich visibler. Noch schlimmer geht es in den Amateurligen zu und her, wie Patrick Clastres in einem Interview mit der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR sagt: «Die Verwendung von Rassenkategorien in der Alltagssprache wird hier total banalisiert. Diskriminierende Ausdrücke werden geleugnet. Die Schiedsrichter und Trainer sind nicht dagegen gewappnet und fühlen sich alleingelassen.»
Der in Toulouse und Paris ausgebildete internationale Experte für Sport- und Olympiageschichte sieht deshalb höchsten Handlungsbedarf: «Der Sport ist die letzte Bastion für öffentlich und allzu oft ungestraft geäusserten Rassismus.» Dem gilt es, ein Ende zu setzen.
Gemäss Clastres Aussagen betrifft das Thema aber nicht nur die Klubs. Die Medien müssten sich bei ihrer Berichterstattung genauso hinterfragen: «Seit etwa zwanzig Jahren ist weltweit eine Nationalisierung des Images des Sports zu beobachten. Um das Publikum für sich zu gewinnen, konzentrieren sich die Medien auf die nationalen Athletinnen und Athleten. Die Reaktivierung des sportlichen Nationalismus ist nicht ungefährlich und dient als Terrain für Rassismus.»
Strafen bleiben aus
Dieses Terrain hat sich der Sport über die Jahre auch selber geschaffen. Er wurde zur Insel, wo Rassismus frei und allzu oft ungestraft zum Ausdruck kommt. Weshalb? «Weil die Welt des Sports wie eine ideale, neutrale und gleichberechtigte Gesellschaft mit eigenen Regeln und Gesetzen präsentiert wird. So muss sich ein Sportler, der einen Gegner körperlich oder verbal angreift, nur vor seinem Verband verantworten und nicht vor der ordentlichen Justiz», so Clastres.
Fehltritte von Stadiongängern bleiben meist ebenfalls ohne Konsequenzen. Sie tauchen im Sog der Masse in die Anonymität ab, notfalls vermummt mit einem Schal. Niemand wird an den Pranger gestellt. Stattdessen übt man sich von Klubseite lieber in einer zurückhaltenden Krisenkommunikation, in welcher man die Vorfälle bedauert und den Fragen ausweicht. «Die Reaktionen bleiben dadurch zu marginal und zu kurzlebig, um die Sache des Antirassismus tatsächlich voranzutreiben», fasst es Clastres zusammen.
Weiterbildung statt Alibi-Kommunikation
Doch wo setzt man nun den Hebel an, um Rassismus auch aus den Stadien zu verbannen, nachdem er sich dort so schön eingenistet hat? Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Denn schliesslich liegt dem Thema auch ein gesellschaftliches Problem zugrunde, das wesentlich tiefer greift.
Für die Klubs empfiehlt Clastres allen Führungspersonen, mehr in Weiterbildungen zu investieren als in gross angelegte Kommunikationskampagnen. «Sie haben eine moralische Vorbildfunktion. Sie sind nicht untätig. Aber oft sind sie auch machtlos gegenüber der Herausforderung des Rassismus.» Ohne diese Machtlosigkeit werde der Rassismus langfristig nicht bloss aus den Stadien verschwinden, sondern der Sport hat sogar die Möglichkeit, den Rassismus an der Wurzel zu bekämpfen.