Vier Tage nach der 0:4-Schmach im eigenen Stadion schafft Xamax in der Barrage gegen Aarau in extremis doch noch den Ligaerhalt. Im Fussball-Talk «Heimspiel» sucht man nach Erklärungen für die wundersame Wende.
Die Rollenverteilung in der Barrage war ursprünglich klar: Super-Ligist Xamax hat nach der starken Rückrunde den Klassenerhalt in der eigenen Hand, eine Rückkehr des FC Aarau in die oberste Schweizer Liga wäre eine Überraschung. Was folgt, sieht wohl niemand voraus. Der Unterklassige gewinnt das Hinspiel auswärts gleich mit 4:0 und steht mit neun Zehen in der Super League – ein Schock für die Neuenburger.
Auch für Rolf Fringer zeichnet sich die Pleite im Hinspiel überhaupt nicht ab: «Das 0:4 im Hinspiel kam für Xamax aus heiterem Himmel. Wenn ein Super-League-Verein gut funktioniert und zwischen der Mannschaft, dem Trainer und dem Verein alles im Griff hat, ist dieser grundsätzlich im Vorteil. Xamax war in der Rückrunde die viertbeste Super-League-Mannschaft, die funktionierte. Es herrschte Ordnung.» Wohl genau deshalb gelang es Stéphane Henchoz, seine Mannschaft innert weniger Stunden zurück in die Spur zu führen.
Im Teleclub Fussball-Talk «Heimspiel» wird aber klar, dass die wundersame Wende vor allem durch mentale Faktoren erklärt werden kann. Zu Gast sind Ex-Xamax- und Aarau-Profi Rainer Bieli, Blick-Sportchef Felix Bingesser und Teleclub-Experte Rolf Fringer:
Der abfallende Druck bei Xamax
Fringer: «Als ich vor zehn Jahren bei Luzern Trainer wurde, sagte ich als erstes: Die Situation ist so schlecht, dass sie wieder gut ist. Genau so konnte Xamax heute agieren. Der Glaube und die Anspannung waren weg. Man konnte frisch von der Leber aufspielen und das ganze eigentlich nur ins Positive wandeln. Dann gehst du mit einer anderen Einstellung im Kopf auf den Platz. Bei einem 1:0 oder 2:0 bist du dagegen nervös bis zum Gehtnichtmehr. (…) Die Ausgangslage für Xamax war so schlecht, dass es für den Kopf gut war.»
Bieli: «Immer wenn Xamax etwas zu verlieren hatte, versagten die Nerven. Ab dem Moment, wo es für sie um nichts mehr ging, haben sie das Spiel gedreht. Stéphane Henchoz zog jeweils die richtigen Schlüsse, schickte die richtigen Leute auf den Platz und konnte diese gut motivieren.»
Die zu grosse Reserve für den FC Aarau
Bieli: «Das 4:0-Polster war vielleicht zu gross. Man kann es auch zu locker nehmen: 'Wir haben ja vier Tore, wenn jetzt was passiert, können wir immer noch drei kassieren'.»
Fringer: «Aarau war im Kopf nicht wirklich bereit. Sie machten nichts mehr und reagierten nur noch, die Zweikämpfe bestritten sie schlecht. Und wenn das Spiel dann mal seinen Verlauf nimmt, ist es schwer, noch Einfluss zu nehmen.»
Bingesser: «Das ist wahrscheinlich eine mentale Frage. Ich glaube, die Spieler hatten ihre Aufstiegsprämie bereits verplant. Man hat das Gefühl, man kann den Match kontrollieren und ist einfach nicht so bereit. Dann kriegt man in der ersten Hälfte drei Gegentreffer und ist wie paralysiert. Man hatte das Gefühl, die fallen aus dem Rahmen – im wahrsten Sinn des Wortes.»
Zu früh für den Aarauer Wiederaufstieg?
Schlussendlich ist der Nicht-Aufstieg für den FCA allerdings kein Weltuntergang, wenn auch sehr bitter. Felix Bingesser erklärt: «Ein Aufstieg des FC Aarau ist in diesem Moment, mit diesen Perspektiven und dieser Infrastruktur, nicht wirklich sinnvoll. (…) Ich denke, für die mittelfristige Entwicklung ist das nicht so schlecht. Die Voraussetzungen sind aktuell auch mit der Stadionproblematik einfach nicht gegeben.» Ausserdem ist Bingesser überzeugt, dass die gespielte Barrage trotz der Enttäuschung in der Stadt und im Umfeld des FCA viel ausgelöst hat. Man habe gesehen, dass der Aargau mittelfristig wieder in der Super League vertreten sein muss.
Beim Gegner aus Neuenburg gönnt Bingesser den Ligaerhalt vor allem dem per Ende Saison entlassenen Trainer Stéphane Henchoz, der die Mannschaft in der Rückrunde trotz grossem Rückstand erst in die Barrage führte. «Henchoz gönne ich das von Herzen. Er hat diese Mannschaft in einer schwierigen Phasen übernommen und stabilisiert, spielt anschliessend eine hervorragende Rückrunde – und dann gibt es keinen neuen Vertrag. Das war einer der seltsamsten Trainerentscheide, die ich in 30 Jahren als Sportjournalist erlebt habe.» Dass Präsident Christian Binggeli für diese «krasse Fehlentscheidung» noch belohnt werde, gefällt ihm dagegen überhaupt nicht.