Heute Abend hat die Schweiz mal wieder die Chance auf den Einzug in den Viertelfinal an einem grossen Turnier. Die Erwartungen an die Nati waren auch schon grösser, doch genau das könnte beim Team von Vladimir Petkovic Kräfte freisetzen. Ein offener Brief an die Nati.
Liebe Nati,
was haben wir gelitten vor drei Jahren, als du in Russland nach einem blutleeren und enttäuschenden Auftritt mit 0:1 gegen die Schweden aus der WM geflogen bist. Oder als du vor fünf Jahren den Penaltykrimi gegen die Polen verloren hast, obwohl du den Sieg verdient gehabt hättest. Oder dein aufopferungsvoller Kampf gegen Argentinien an der WM 2014, wo schlicht das Glück nicht auf deiner Seite war.
Vergessen haben wir diese Achtelfinal-Abende in St. Petersburg, Saint-Étienne und São Paulo nicht. Aber verdrängt. Denn die nächste Chance, es an einem grossen Turnier endlich in den Viertelfinal zu schaffen, ist schon wieder gekommen.
Anders als in den vergangenen Jahren ist die Euphorie in der Schweiz aber nicht mehr so gross wie bei den letzten drei Endrunden. Womöglich liegt es an der Corona-Pandemie, welche etwa auch Public Viewings einschränkt. Vor allem aber traut man dir hierzulande weniger zu als auch schon. Nur rund ein Drittel der über 9000 Teilnehmer unserer Umfrage glauben an einen Exploit der Schweiz gegen die Franzosen.
Das ist zum einen auch dem Gegner geschuldet, Frankreich ist der amtierende Weltmeister und gilt als Top-Favorit dieses Turniers. Vor allem aber fehlte es vielen Nati-Fans in der Gruppenphase an Leidenschaft, die es für einen Exploit zwingend braucht. Besonders in den Spielen gegen Wales und Italien.
Die Antwort folgte gegen die Türkei. Auch da war nicht alles perfekt, aber man spürte, dass du diesen Sieg unbedingt wolltest. Dein Captain Granit Xhaka hatte nach diesem Spiel gesagt, dass sich die Nati von haltloser Kritik nicht kaputt machen lasse. Man kann sich darüber streiten, ob Xhaka die richtigen Worte gewählt hat. Aber im Grunde hat er recht. Denn noch immer gibt es Schweizer, die sich über Dinge ärgern, die mit dem Fussballspielen überhaupt nichts zu tun haben.
Und ja, es gibt auch Leute, denen es herzlich egal ist, ob die Spieler die Nationalhymne mitsingen oder nicht. Ob blondiert oder Dreadlocks, ob Lamborghini oder Fiat 500, ist diesen Fans ebenfalls Wurst. Solange du als Nationalmannschaft auf dem Platz Vollgas gibst. So wie gegen die Türken.
Trotz der Missgunst eines Teils unserer Bevölkerung fiebert heute Abend ein viel grösserer Teil dieser Nation mit dir mit. Liebe Nati, heute hast du die Chance, jede Schweizerin und jeden Schweizer stolz zu machen und ein ganzes Land auf eine Euphoriewelle zu bringen. Die Ausgangslage könnte ja eigentlich nicht besser sein. Du hast nichts zu verlieren und kaum jemand würde bei einem Ausscheiden enttäuscht sein. Anders als damals gegen Schweden und Polen.
Deshalb, liebe Nati, hau alles rein, was du hast. Kämpf' bis zum Umfallen. Mach' das Unmögliche möglich. Es ist Zeit für den grossen Coup!