Die letzten zwei Weltmeister, der Europameister und ein Nachzügler: Die Gruppe F mit Frankreich, Deutschland, Portugal und Ungarn hat es in sich.
Von wegen Losglück! Für einmal konnten sich die Deutschen bei der Ausmarchung der EM-Gruppen nicht auf Fortunas Gnade verlassen, die ihnen oft nachgesagt wird. Der schwächelnde Weltmeister von 2014, der sich in den letzten Monaten ein 0:6 gegen Spanien und eine Blamage gegen Nordmazedonien leistete, bekommt es im Kampf um den Vorstoss in die Achtelfinals gleich zum Einstieg mit dem Weltmeister und vier Tage später mit dem Europameister zu tun.
Die Mannschaft des nach dem Turnier abtretenden Trainers Joachim Löw trifft am 15. Juni auf Frankreich und am 19. Juni auf Portugal. Der letzte Gruppengegner am 23. Juni ist Ungarn. Während die Ungarn ihre ersten beiden Spiele in Budapest bestreiten, geniesst Deutschland in allen Gruppenspielen Heimrecht in München – ein Vorteil gegenüber den Franzosen und den Portugiesen, die stets auswärts antreten.
Will die DFB-Elf drei Jahre nach dem WM-Aus in der Gruppenphase bestehen, muss sie zurück in die Spur finden. Wiederholt gab sie in ihrer Verjüngungskur seit der WM-Schmach in Russland ein konfuses Bild ab und offenbarte vor allem in der Defensive teils eklatante Schwächen. Es wird interessant zu sehen sein, ob die Teilchen nach der langen Phase des Experimentierens auf Anhieb greifen. Und ob die nach der Ausbootung reaktivierten Leitwölfe Mats Hummels und Thomas Müller ohne grosse Anlaufzeit wieder funktionieren im Kreis des Nationalteams.
Mbappé, Ronaldo, Neuer
Die Gruppe F sticht auch mit Blick auf die Individualisten heraus. In den Reihen der Deutschen befindet sich neben den drei Champions-League-Siegern mit Chelsea (Kai Havertz, Timo Werner und Antonio Rüdiger) unter den fünf verbliebenen Weltmeistern auch der beste Goalie (Manuel Neuer). Deutschlands klangvollste Gegner heissen Kylian Mbappé und Cristiano Ronaldo. Wobei sich bei den Franzosen und Portugiesen etliche Top-Spieler tummeln.
Im Team der Franzosen wertet der begnadigte Stürmer Karim Benzema die Weltmeister-Offensive um Mbappé und Antoine Griezmann weiter auf. Im Mittelfeld können die Franzosen auf Chelseas omnipräsenten N'Golo Kanté in Topform sowie Paul Pogba bauen, in der Defensive hat Didier Deschamps neben dem mehrfachen Champions-League-Sieger Raphaël Varane so viel Auswahl, dass er für Spieler wie Manchester Citys Aymeric Laporte keine Verwendung fand und sich dieser dem spanischen Nationalteam anschloss.
Und da ist ja noch Portugal mit dem nimmermüden Cristiano Ronaldo, das auf dem Papier stärker daherkommt als beim Titelgewinn vor fünf Jahren. Die Offensive um Ronaldo wird durch Bruno Fernandes (Manchester United), Bernardo Silva (Manchester City), João Felix (Atlético Madrid), Diogo Jota (Liverpool) und Trincão (FC Barcelona) aufgewertet, die Defensive um Routinier Pepe durch Spieler wie Ruben Dias (Manchester City), João Cancelo (Manchester City) und Raphaël Guerrero (Borussia Dortmund).
Trotz der hochkarätigen Besetzung überzeugten die Portugiesen in der jüngeren Vergangenheit nur teilweise. Dass das Bild aber täuschen kann, haben sie vor fünf Jahren in Frankreich gezeigt. War es Glück, dass sie sich mit drei Unentschieden als Gruppendritter gerade noch in die Achtelfinals mauserten und sie drei der vier K.o.-Partien nach Verlängerung oder Penaltyschiessen gewannen? Oder war der Coup auch auf das Kalkül von Trainer Fernando Santos zurückzuführen, unter dem man in den entscheidenden Partien keine Gegentore mehr kassierte? Vielleicht beides, aber sicher nicht nur Glück.
Ungarn als Profiteur der Nations League
Etwas entschärft wird die Brisanz der Gruppe F mit der Ansammlung dreier Schwergewichte dadurch, dass es auch für die Gruppendritten einen Weg in die K.o.-Phase gibt. Allerdings müssen die Punktverluste hierfür in Grenzen gehalten werden. Nur oder je nach Sichtweise immerhin vier der sechs Gruppendritten ziehen in die Achtelfinals ein. Vom Modus, der sich aus der Aufstockung auf 24 Mannschaften vor der letzten EM ergab, hat Portugal 2016 schon einmal maximal profitiert. Platz 1 in Portugals Gruppe belegte vor fünf Jahren übrigens überraschend ... Ungarn.
Die Ungarn mit dem italienischen Trainer Marco Rossi sind dieses Mal noch krasserer Aussenseiter, auch gemessen an den Resultaten. Als Vierter hinter Kroatien, Wales und der Slowakei haben sie die EM-Qualifikation über den normalen Weg verpasst. Ihr Glück war, dass sie sich in der Nations League als Gruppenzweiter in der Liga C für die Playoffs qualifizierten. Dort holten sie sich das Ticket mit Siegen gegen Bulgarien und Island.
Deutschland in Zahlen
Einwohner: 83,2 Mio.
Hauptstadt: Berlin
Gründung des Verbandes «Deutscher Fussball-Bund»: 1900
FIFA-Ranking: 12.
Bisherige Teilnahmen an EM-Endrunden (12): 1972, 1976, 1980, 1984, 1988, 1992, 1996, 2000, 2004, 2008, 2012, 2016
Bestes EM-Resultat: Europameister (1972, 1980, 1996)
Qualifikation: 1. Platz in der Gruppe C (8 Spiele/21 Punkte)
Bester Torschütze in der Qualifikation: Serge Gnabry (8 Tore)
Bekannteste Spieler: Manuel Neuer, Thomas Müller, Joshua Kimmich (alle Bayern München), Toni Kroos (Real Madrid)
Trainer: Joachim Löw (GER, seit 2006/tritt nach der EM zurück)
Frankreich in Zahlen
Einwohner: 67,4 Mio.
Hauptstadt: Paris
Gründung des Verbandes «Fédération Française de Football»: 1919
FIFA-Ranking: 2.
Bisherige Teilnahmen an EM-Endrunden (9): 1960, 1984, 1992, 1996, 2000, 2004, 2008, 2012, 2016.
Bestes EM-Resultat: Sieger (1984 und 2000)
Qualifikation: 1. Platz in der Gruppe H (10 Spiele/25 Punkte)
Bester Torschütze in der Qualifikation: Olivier Giroud (6 Tore)
Bekannteste Spieler: Kylian Mbappé (Paris Saint-Germain), Paul Pogba (Manchester United), Antoine Griezmann (FC Barcelona), Karim Benzema (Real Madrid)
Trainer: Didier Deschamps (FRA, seit 2012)
Portugal in Zahlen
Einwohner: 10,3 Mio.
Hauptstadt: Lissabon
Gründung des Verbandes «Federação Portuguesa de Futebol»: 1914
FIFA-Ranking: 5.
Bisherige EM-Teilnahmen (7): 1984, 1996, 2000, 2004, 2008, 2012, 2016
Bestes EM-Resultat: Europameister (2016)
Qualifikation: 2. Platz in der Gruppe B (8 Spiele/17 Punkte)
Bester Torschütze in der Qualifikation: Cristiano Ronaldo (11 Tore)
Bekannteste Spieler: Ronaldo (Juventus Turin), Bruno Fernandes (Manchester United), João Felix (Atlético Madrid), Bernardo Silva (Manchester City)
Trainer: Fernando Santos (POR/seit 2014)
Ungarn in Zahlen
Einwohner: 9,8 Mio.
Hauptstadt: Budapest
Gründung des Verbandes «Magyar Labdarugo Szövetsec»: 1901
FIFA-Ranking: 37.
Bisherige EM-Teilnahmen (3): 1964, 1972, 2016
Bestes EM-Resultat: Halbfinal (3./1964)
Qualifikation: via Nations League als Gruppenzweiter in Liga C, Sieger Playoff Weg A (2:1 gegen Island)
Bester Torschütze in der Qualifikation: Willi Orban (3 Tore)
Bekannteste Spieler: Peter Gulacsi, Willi Orban, Akos Kecskes (Lugano)
Trainer: Marco Rossi (ITA/seit 2018).