Zwischenbilanz Zehn Gründe, warum die EM bisher ein voller Erfolg ist

SB10

2.7.2021

Granit Xhaka ist ein Leader beim grossen Schweizer Fussball-Märchen.
Granit Xhaka ist ein Leader beim grossen Schweizer Fussball-Märchen.
Bild: Getty

Vor der EM durfte man skeptisch sein, ob das Turnier die hohen sportlichen  Erwartungen erfüllt. Abgesehen von negativen Faktoren rund um die Corona-Thematik darf man aber bisher ein sehr positives Fazit ziehen. Das sind die Gründe dafür.

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 Alte Champions fliegen raus

Der amtierende Weltmeister Frankreich – im Achtelfinal eliminiert. Auch Europameister Portugal wurde in der ersten K.-o.-Runde bereits entthront. Zudem musste der zweifache EM-Sieger und sechsfache Finalist Deutschland ebenfalls frühzeitig heimreisen. Alle drei Teams spielten in der als «Todesgruppe F». Die Hammergruppe stellt als einzige Gruppe keinen einzigen Viertelfinalisten. 


Die Rebellion der kleinen Teams

Aussenseiter Ungarn machte Portugal, Frankreich und Deutschland das Leben schwer und lag zeitweise sogar auf Kurs in Richtung Achtelfinal. Österreich erreichte sogar erstmals einen EM-Achtelfinal. Dort zeigte man gegen Italien eine starke Leistung und musste sich erst in der Verlängerung geschlagen geben. Die Tschechen kamen als Gruppendritte weiter, danach bodigte man die zuvor so souverän aufgetretenen Niederländer.

Einen kapitalen Fehlstart – auch bedingt durch das Drama mit Christian Eriksen – erlebte Dänemark. Trotz zweier Niederlagen rettete man sich in die K.-o.-Phase, wo man Wales glatt mit 4:0 überrollte. Die Ukraine setzte sich gegen die zähen Schweden durch. Zu guter Letzt das Märchen mit der Schweiz. Nach durchwachsener Gruppenphase schnell Frankreich den Meister gezeigt und somit erstmals ein K.-o.-Spiel einer EM für sich entschieden. 

 
Schafft die Schweiz den Einzug in den EM-Halbfinal?

Cristiano Ronaldo, der Rekordtorschütze

An CR7 lag es nicht, dass Portugal ausschied. Fünf Tore (drei davon per Penalty) buchte der 36-Jährige. Mit insgesamt 14 Toren kletterte er an die Spitze der ewigen EM-Torschützenliste. Ausserdem ist er mit 20 Treffern bei Euro- und Weltmeisterschaften der Spieler mit den meisten Toren bei den beiden Turnieren zusammen. Kein Wunder, ist er gemeinsam mit Ali Daei auch der Rekordhalter im internationalen Fussball. 109 Tore haben die beiden Ausnahmekönner in der Nationalmannschaft erzielt. 


Das weiteste Tor der Europameisterschaft

Patrick Schick steht mit den Tschechen am Samstag im EM-Viertelfinal gegen Dänemark. Doch grösser als die Chancen auf den EM-Titel sind zwei Sachen: Als einziger noch im Turnier befindlicher Spieler mit vier Treffern hat er durchaus die Möglichkeit, Cristiano Ronaldo (5) noch den Titel des EM-Torschützenkönigs zu entreissen.

Schon geholt hat der Leverkusen-Profi den Rekord für das weiteste EM-Tor der Geschichte. Gegen Schottland traf er aus 45 Metern und 44 Zentimetern ins Tor. Kein Wunder, ist es bisher das schönste Tor von allen. Auch der zukünftige Bayer-Trainer Seoane freut sich auf seinen Stürmer: «Macht Spass, ihm zuzuschauen.»


Tore-Garantie trotz Elfmeter-Fehlschüssen

Am Montag gab es in zwei Spielen gleich insgesamt 14 Treffer zu bewundern (5:3 bei Spanien gegen Kroatien und 3:3 bei Schweiz gegen Frankreich). Tatsächlich gab es nach den diesjährigen Achtelfinals bereits schon mehr Tore zu sehen als gesamthaft bei der EM 2016. In 42 Spielen wurden 118 Tore erzielt. Und nur zweimal blieben Partien torlos (Spanien gegen Schweden und England gegen Schottland).

Die Tor-Quote hätte dabei noch besser sein können. 15-mal liefen die Schützen bisher vom Punkt an – nur achtmal landete der Ball im Netz. Als besonders wenig treffsicher erweist sich bislang Spanien: zwei Versuche, kein Tor. Leider scheiterte auch der Schweizer Ricardo Rodriguez bei seinem Versuch. Zum Vergleich: Bei der EM 2016 verschossen nur zwei Spieler (Mesut Özil und Cristiano Ronaldo)


Mehr Eigentore als je zuvor

Die Torflut wird begünstigt durch eigenes Unvermögen. Es begann schon im Eröffnungsspiel. Merih Demiral traf als Erster – leider ins eigene Tor. Der Türke blieb nicht der einzige Pechvogel. Bisher fielen neun Eigentore. Das ist einsamer Rekord: Zuvor hatte es in der EM-Geschichte erst neun Eigentore bei allen vorherigen Turnieren insgesamt gegeben. Dabei überboten sich die Protagonisten: Der slowakische Goalie Martin Dubravka faustete den Ball bei der 0:5-Klatsche gegen Spanien in Slapstick-Manier ins eigene Netz. Grosse Konkurrenz macht ihm der spanische Keeper Unai Simon, der einen Rückpass unterlief. 

Kurzum: Die Mannschaften finden ihre Gegner also vermehrt in der eigenen Umkleidekabine.


Teenager-Alarm

Jude Bellingham freute sich bei den Engländern über sein Debüt mit 17 Jahren und 349 Tagen beim 1:0 zum Auftakt gegen Kroatien. Damit war der Dortmund-Profi der jüngste Spieler einer EM – zumindest für ein paar Tage. Der Pole Kacper Kozlowski löste Bellingham nur sechs Tage später schon wieder ab. 17 Jahre und 246 Tage war er gerade mal alt, als er gegen Spanien eingewechselt wurde.

Wie gewonnen, so zerronnen: Jude Bellingham (l:) muss den Rekord als jüngster Spieler der EM-Historie abgegeben.
Wie gewonnen, so zerronnen: Jude Bellingham (l:) muss den Rekord als jüngster Spieler der EM-Historie abgegeben.
Bild: Keystone

Familienbande

Federico Chiesa schoss Italien gegen Österreich vorentscheidend in Front. Weil auch sein Papa Enrico für die Squadra Azzurra 1996 erfolgreich war, haben sie Geschichte geschrieben. Sie sind das erste Vater/Sohn-Gespann, welches bei einer Europameisterschaft ein Tor erzielt hat. Ausserdem stürmen für Belgien die Brüder Thorgan und Eden Hazard – und folgen so in die Fussstapfen der Gebrüder Laudrups und De Boers, die ebenfalls gemeinsam für ihre Nationalmannschaft gespielt haben.


Tempofester VAR 

Auch wenn der Video Assistant Referee naturgemäss ab und zu für Unverständnis sorgt – lange sind die Partien beim Einsatz des Videoreferees eigentlich nicht unterbrochen: Pfiff, die Stimme im Ohr meldet sich, der Schiedsrichter wartet oder schaut sich schnell die Wiederholung an – und Entscheidung. 

Die Schiedsrichter drücken aufs Tempo.
Die Schiedsrichter drücken aufs Tempo.
Bild: Keystone

Die Schweiz hat den «Super-Fan»

Ein bärtiger Nati-Fan hatte im Spiel gegen Frankreich die Gefühlsschwankungen wie kein anderer verkörpert: Als der Sieg für Xhaka & Co. in weite Ferne rückte, zog er sich das Trikot über den Kopf und es wirkte, als wolle er gar nicht mehr zusehen. Nachdem ein Erfolg dank Anschluss- und Ausgleichstreffer wahrscheinlicher wurde, konnte sich der Mann nicht mehr halten, riss sich das Trikot vom Körper und brüllte seine Freude heraus.

Aus diesen Szenen bastelten Internetnutzer die verschiedensten Bilder mit eigenen Sprüchen. Sogar der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan twitterte das Bild von ihm und gratulierte der Schweiz zum Sieg.

Inzwischen kennt man die Identität des «Super-Fans». Luca Loutenbach ist Jurassier – und als Gesicht des Schweizer EM-Märchens ein begehrter Werbeträger. Diverse Firmen haben sich schon bei ihm gemeldet. Die Swiss offeriert ihm etwa den Flug nach St. Petersburg. Dort soll er als Glücksbringer für die Schweiz fungieren.



SUI vs. FRA: Emotionen, Gänsehaut und der totale Wahnsinn

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