Die Fussball-Weltmeisterschaft der Frauen löst im Gastgeberland Australien einen Sprint in Sachen Gleichstellung im Fussball aus.
Der Chef des australischen Fussballverbands, James Johnson, sprach mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA über den Stellenwert des Fussballs im Land und über die Vision «Gleich viele Frauen wie Männer auf dem Rasen».
Findet in der Schweiz ein Fussballspiel statt, entgeht das auch Laien nicht. Wenn in Zürich vornehmlich Männer in weissen Sneakern, blauen Jeans und dunkler Jacke Richtung Altstetten ziehen oder sich in Bern Fans in Gelb-Schwarz hüllen und wie Bienen ins Tram Richtung Wankdorf drücken, dann geht es nicht mehr lange bis zum Matchbeginn.
Auch in Sydney drücken sich Fans in die Strassenbahn. Mit rot-weissen Accessoires strömen sie Richtung Stadion, dem Sydney Cricket Ground. Cricket werden sie nicht sehen. Fussball aber auch nicht – auch wenn sie es fast so nennen. Beim «Footy», dem Australian Rules Football (AFL), ist das Feld rund und dauert ein Spiel 60 Minuten.
Zwischen den Jubelrufen der AFL-Fans fragt man sich unweigerlich: Wo steckt eigentlich die Fussballkultur des Gastgebers der Fussball-WM der Frauen?
Fussball findet in Australien besonders in den Gemeinden und Quartieren statt. «Fussball ist, gemessen an der Partizipation, der meistgespielte Sport in Australien», sagt James Johnson.
An der Weltmeisterschaft erwartet er in Australien und Neuseeland 1,5 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer in den Stadien. Zwei Milliarden Personen sollen sich die Spiele am Fernsehen anschauen. Diese Bühne will der Verband nutzen. Mithilfe der Weltmeisterschaft wollen Johnson und sein Team den australischen Fussball global etablieren.
Die Männer erfolgreich wie nie
«Wir befinden uns in einer goldenen Ära», sagt Johnson. Das Nationalteam der Männer, die Socceroos, erreichte an der Weltmeisterschaft in Katar erst zum zweiten Mal in der WM-Geschichte den Achtelfinal. «Knapp verloren wir gegen Argentinien», erinnert sich Johnson und deutet den kleinen Unterschied mit dem ausgestreckten Zeigefinger leicht oberhalb des Daumens an.
Die Männer haben sich jüngst bewiesen. Wo steckt der Fussball der Frauen in Australien?
«Wir glauben an die Gleichstellung der Geschlechter», stellt Johnson klar. Die Socceroos seien gut bezahlt, und die Matildas – das Frauenteam – seien gut bezahlt. Erhalten die Socceroos einen Top-Coach, erhalten die Matildas einen Top-Coach. «Ich will nicht respektlos gegenüber anderen Ländern auftreten», sagt er in australischer Manier. «Aber andere Länder können wohl von uns lernen.»
Matildas und Socceroos gleich viel wert
Die Matildas vermarktet der Verband ebenso stark wie die Socceroos. Als Marke seien die beiden Nationalteams gleich viel wert. Die Matildas überholten laut Johnson auch die Wallabies, das nationale Rugby-Team. «Die Matildas haben uns Gewinne generiert, die wir sonst nicht hätten», sagt Johnson ganz Geschäftsmann.
Zwischen den Erfolgen, die der stolze CEO auflistet, fällt ein Nebensatz auf. «In jüngster Zeit» erwähnte er mehrfach. Johnson hat das Ruder anfangs 2020 übernommen. Acht Wochen nach seinem Amtsantritt kam die Corona-Pandemie. Er und sein Team steckten ihre Energie mit Blick auf die Frauen-WM in die Matildas. Im Herbst 2021 kam es bei erster Möglichkeit zum ersten internationalen Spiel. Die Australierinnen trafen auf Brasilien. «Ein Meilenstein», sagt Johnson. Da habe sich gezeigt, dass sich die Arbeit der vergangenen eineinhalb Jahre ausbezahlt hatte. Die Australierinnen siegten 3:1.
400'000 zusätzliche Spielerinnen
Dass es für den Erfolg der Frauen noch einiges zu tun gibt, zeigt sich eben dort, wo der australische Fussball stattfindet: in den kommunalen Vereinen.
Die WM der Frauen nannte Johnson auch ein Wachrütteln. Bis 2027 sollen auf Vereinsebene gleich viele Spielerinnen wie Spieler auf den Rasen der Nation den Ball dribbeln. Heute macht der Anteil Spielerinnen 26 Prozent aus. Das bedeutet, dass der Verband 400'000 zusätzliche Spielerinnen für den Fussball begeistern will – in einem Land mit rund 26 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern.
Investition in Infrastruktur
Wie ist das zu schaffen? Mit verbesserter Infrastruktur. Nicht zuletzt das Schweizer Publikum wird ab Juli vor Ort oder im Fernsehen die Stadien zu sehen bekommen. «Millionen Dollar gehen an den Bau der grossen Stadien», sagt Johnson. Ebenso sollen aber auch Vereine profitieren. «Stand Juni sind 39 Millionen Australische Dollar (rund 23 Millionen Franken) für kommunale Einrichtungen investiert worden.» Für neue Rasenflächen, neue Beleuchtungen – und getrennte Garderoben von Spielerinnen und Spieler.
Vom Geldregen profitieren nicht nur Amateurinnen. In Melbourne wird im Juli das neue Zuhause der Matildas eröffnet. «Die Anlage wurde eigens für Frauen im Elitefussball errichtet und ist einzigartig auf der Welt», sagt Johnson zur 116 Millionen Australische Dollar (rund 69 Millionen Franken) teuren Anlage. Während dem Turnier wird das Team aus Jamaika dort sein Lager einrichten. Im Nachgang an das Turnier soll die Anlage die Heimstätte für die nationalen Fussballprogramme werden.
Erklärtes Ziel von Johnson und dem Verband ist es, Talente zu fördern. Spielerinnen, Spieler und Coaches sollen in die besseren Ligen im Ausland wechseln. Auf die Frage, ob irgendwann Australien selbst gute Spielerinnen und Spieler importieren wolle, lacht der CEO. «Ich bin dann doch ein Realist», sagte er. Um den gewünschten Erfolg zu haben, müsse der australische Fussball über seiner Gewichtsklasse antreten. Ob der Verband sich damit gestärkt hat oder nicht, wird sich 2027 zeigen.
sda