Am 1. Mai 1979 tritt Uli Hoeness beim FC Bayern das Amt des Managers an. «Nach oben» zu kommen, ist das Ziel des Visionärs. Als Präsident blickt er auf vier bewegte Jahrzehnte zurück und plaudert aus dem Nähkästchen.
Der Aufstieg des FC Bayern München zur Nummer 1 in Deutschland und einem Global Player im internationalen Fussball ist massgeblich mit dem Wirken von Uli Hoeness verbunden.
Vor 40 Jahren wird er mit erst 27 Jahren Manager. Seit 2016 ist er zum zweiten Mal Präsident des deutschen Rekordmeisters. Amtsmüde wirkt Hoeness im Interview der Deutschen Presse-Agentur nicht, zumal sein Lebenswerk mal wieder mitten im Umbruch steckt. «Es ist gerade so viel Arbeit da. Wir haben so viele Themen anzupacken», sagt der 67-Jährige.
Merchandising, Sponsoring, gab's das vor Ihrer Zeit schon?
Merchandising gab es nicht. Wir hatten eine Poststelle. Da lag ein Schal aus, dazu ein paar Postkarten. Das war unsere Abteilung für Fanartikel.
Die Kommerzialisierung des FC Bayern hin zu einem Global Player im Fussball dürfte Ihre wohl bedeutendste Leistung sein.
Ich sah meine wichtigste Aufgabe darin, den FC Bayern unabhängiger von Zuschauereinnahmen zu machen. Als ich anfing, machten diese 85 Prozent des Umsatzes aus. Heute sind es bei knapp 700 Millionen Euro Umsatz noch 18 bis 20 Prozent.
Hätte der 27 Jahre junge Uli Hoeness die Dinge mit der Erfahrung des 67 Jahre alten Uli Hoeness anders angepackt?
Damals bin ich wilder gewesen. Ich bin heute viel milder in der Auseinandersetzung. Ich wollte mit dem FC Bayern nach oben kommen [...] Wenn man oben angekommen ist, kann man verteilen. Aber bis du ganz oben bist, musst du fighten.
Warum kann kein Verein dem FC Bayern dauerhaft Paroli bieten? Selbst Borussia Dortmund gelingt das, wie die sechs Jahre vor dieser spannenden Saison gezeigt haben, allenfalls temporär.
Aber jetzt sind sie ein sehr ernstzunehmender Gegner geworden. Das liegt auch daran, dass sie mit Hans-Joachim Watzke und Reinhard Rauball in der Führung eine grosse Kontinuität besitzen, wie wir sie beim FC Bayern immer hatten. Ich bin jetzt 40 Jahre da. Dann kamen Franz Beckenbauer und Karl-Heinz Rummenigge. Wir haben versucht, bei Trainern und Manager wenig Fluktuation zu haben.
Ist Kontinuität also das Erfolgsgeheimnis des FC Bayern?
Die schlechtesten Jahre beim FC Bayern waren immer die, wenn wir auf der Trainerposition recht grosse Fluktuation hatten. Ich denke, dass heute viele Vereine nach München schauen, was der Marktführer macht, und dann versuchen, das Beste abzukupfern.
Das Fussballgeschäft hat sich in Ihren 40 Jahren als Macher rasant entwickelt. Wie liefen zum Beispiel Transfers früher ab?
Da war viel mehr Abenteuer dabei. Als wir Rabah Madjer, der in unserem Europapokalfinale gegen den FC Porto 1987 dieses legendäre Hackentor erzielte, verpflichten wollten, bin ich nicht direkt nach Porto, sondern nach Lissabon geflogen. Mit einem Leihwagen bin ich dann quer durch die Pampa gefahren, nur, um mich in Porto heimlich mit der Familie Madjer treffen zu können. Oder als wir Roque Santa Cruz 1999 in Paraguay abgeworben haben. Da haben wir mit dem Vereinspräsidenten in dessen Haus verhandelt. Die ganze Familie war dabei. Und nebenan im Wohnzimmer warteten die ganze Zeit 25 Journalisten. Das waren schon verrückte Erlebnisse.
Es gehörte also Versteckspiel dazu?
Als wir Michael Sternkopf verpflichten wollten, bin ich mit Jupp Heynckes mit dem Zug nach Karlsruhe gefahren zu dessen Eltern. Am Bahnhof habe ich gesagt: Jupp, wir brauchen noch Blumen. Und am nächsten Tag stand's dann gross in der Zeitung: Heynckes und Hoeness mit Blumenstrauss im Taxi bei der Familie Sternkopf.
Waren Vertragsverhandlungen mit den Spielern in Ihrer Anfangszeit als Manager einfacher, weil nicht immer Berater im Spiel waren? War der clevere Manager Hoeness da im Vorteil?
Nein, weil ich nie jemanden über den Tisch gezogen habe. Die schönsten Verhandlungen waren übrigens die mit den Ehefrauen von Spielern, mit Martina Effenberg zum Beispiel. Mit Frau Schuster habe ich auch mal verhandelt, als wir Bernd Schuster zum FC Bayern holen wollten, was aber dann nicht geklappt hat.
Stichwort Geld: Über die Rekordausgabe des FC Bayern für Hernández ist kontrovers diskutiert worden. Wie haben Sie das aufgenommen?
Ich habe mich gewundert, dass unsere 80 Millionen so kritisch gesehen wurden. Vor kurzem hiess es noch, mit seiner vorsichtigen Transferpolitik habe der FC Bayern keine Chance mehr, in die Phalanx der englischen und spanischen Topclubs sowie von Paris Saint-Germain einzudringen. Jetzt liefern wir, und die Leute schreien: Wie kann man für einen Spieler 80 Millionen ausgeben? Was hätten die Leute erst geschrien, wenn wir Kylian Mbappé gekauft hätten.
Würden Sie den gern zum FC Bayern holen? Paris hat schon vor knapp zwei Jahren 180 Millionen Euro für Mbappé bezahlt.
Mbappé würde ich sofort kaufen. Der Spieler ist toll. Aber für den fehlt uns das notwendige Geld.
Kann ein Spieler tatsächlich mehr als 200 Millionen wert sein?
Es geht nicht darum, ob ein Mbappé das wert ist. Die Frage lautet, ob es sich jemand leisten kann, dieses Geld auszugeben, ohne in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten. Ich habe gelesen, das teuerste Bild der Welt hat bei einer Versteigerung fast 400 Millionen Euro gekostet. Ist ein Kunstwerk das wert? Natürlich nicht! Aber wenn es einer unbedingt besitzen will und so viel Geld dafür bezahlt, ist das letztlich seine Entscheidung.
Was waren die Meilensteine in der Entwicklung des FC Bayern?
Ganz wichtig war, dass wir es geschafft haben, im Bereich Marketing sehr schnell in die europäische Spitzenklasse aufzurücken. Und als Jürgen Klinsmann 1995 als Spieler zu uns kam, haben wir richtig mit dem Trikotverkauf begonnen. Merchandising wurde zu einem Element. Mit Fanartikeln setzen wir 100 Millionen Euro im Jahr um. Ein Meilenstein war auch die Wiedervereinigung. Mit der Öffnung der Grenzen kam eine ganze Welle ehemaliger DDR-Bürger zu uns. Als ich 1979 anfing, hatten wir 8'000 Mitglieder. Heute sind es fast 300'000.
Sie haben die Bedeutung der Trainer für den Erfolg des FC Bayern angesprochen. Sie haben viele erlebt – und manche auch entlassen müssen...
Und das ist das Schwierigste. Das sind Tiefpunkte der eigenen Karriere. Denn ich habe dabei immer auch die menschliche Komponente gesehen. Ich kann mich an Fälle erinnern, da ist mir der Hals zugegangen, wenn man einem Mann, mit dem man oft jahrelang prima zusammengearbeitet hat, sagen musste, dass es nicht mehr weitergeht.
Niko Kovac ist nach dem Triple-Coach Jupp Heynckes und anderen berühmten Trainern wie Pep Guardiola in grosse Fussstapfen getreten. Er hat kein einfaches erstes Jahr, als Bayern-Trainer zu bestehen. Was muss er leisten, damit Sie ihm auch die Zukunft anvertrauen?
Was heisst, was muss er leisten? Mir hat gefallen, wie er die Mannschaft aus dem schwierigen Tal im November herausgeführt hat. Die Mannschaft ist im Umbruch. Wir haben Niko Kovac auch aufgebürdet, mit Arjen Robben und Franck Ribéry den Übergang zu schaffen. Da ist klar, dass man auch mal Geduld haben muss.
Haben Sie den Zeitpunkt für den Umbruch verpasst?
Ich habe mich letztens sehr gewundert. Beim tollen 3:2 im Länderspiel in den Niederlanden standen fünf Bayern-Spieler in der Startelf, darunter nur der ältere Manuel Neuer sowie vier Junge: Joshua Kimmich, Niklas Süle, Leon Goretzka und Serge Gnabry, alle Jahrgang 1995. Kein anderer Verein stellte mehr als einen Spieler. Der Verein, der am meisten kritisiert wurde, dass er den Übergang nicht geschafft haben soll, erfreut beim Neuaufbau der Nationalmannschaft am meisten.
Seit 1979 bestimmen Sie bis auf eine kurze Phase während Ihrer Haftstrafe die Geschicke des FC Bayern. Im November läuft Ihre Amtszeit als Präsident ab. Haben Sie sich persönlich eine Deadline an der Spitze des FC Bayern gesetzt?
Ich werde mich nach der Saison in aller Ruhe mit meiner Familie zusammensetzen und bis Ende Juni entscheiden, ob ich noch einmal antrete oder nicht. Diesen Fahrplan kennen alle im Verein. Es ist gerade so viel Arbeit da. Wir haben so viele Themen anzupacken. Ich denke an den Einstieg von BMW für Audi oder den Aufbau der neuen Mannschaft. Ich bin in der Sache total entspannt. Eines ist aber auch klar: Man darf sich nicht einbilden, dass man unersetzlich ist. Jeder ist ersetzbar. Der eine mehr, der andere weniger.