Chiumiento und Costanzo Darum sind die einstigen Wunderkinder jetzt Kindertrainer

Michael Wegmann

7.10.2025

«Wir haben früher den Fussball noch viel mehr geliebt»

«Wir haben früher den Fussball noch viel mehr geliebt»

22.09.2025

Davide Chiumiento galt als Jahrhunderttalent, auch Moreno Costanzo war ein Hochbegabter. Nun führen sie eine Fussballschule. Mit blue Sport sprechen sie über Kinderträume, leere Versprechen, falsche Entscheidungen und ihre Karrieren.

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Michael Wegmann, Ronja Zeller

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Giocafútbol heisst die Fussballschule von Davide Chiumiento (40) und Moreno Costanzo (37). Erst seit wenigen Wochen haben die ehemaligen Fussballstars ihre Halle in St.Gallen geöffnet.
  • blue Sport hat den beiden wohl talentiertesten «Nummern 10» der Ostschweiz dabei auf die Füsse geschaut und mit ihnen über Kinderträume, leere Versprechen, Akademien und ihre eigenen Karrieren geredet.

Davide Chiumiento, wie kamst du auf die Idee einer eigenen Fussballschule? 

Chiumiento: Nach meiner Karriere lebte ich ein paar Jahre in Kanada. Dort musste ich mich neu erfinden und schauen, was mir gefallen könnte. Das war nicht einfach. Da habe ich begonnen, Kinder zu trainieren und spürte gleich, dass dies meine Leidenschaft ist. Als ich vor drei Jahren zurück in die Schweiz gekommen bin, war klar, dass ich das auch hier machen will. 

Und als du Unterstützung brauchtest, suchtest du eine andere technisch starke «Nr. 10» aus der Ostschweiz und bist auf Moreno gekommen?

Chiumiento: Nein (schmunzelt). Wir haben einen gemeinsamen Freund, den ich schon lange kenne. Er kennt Moreno auch sehr gut. So haben wir uns getroffen. 

Costanzo: Ich fand's eine coole Idee, und dann sah ich, wie Davide arbeitet. 

Es gibt viele Grossklubs mit Akademien und Stützpunkten. Warum braucht's eure Fussballschule?

Costanzo: Wir trainieren Kinder schon ab 6 Jahren. Ich glaube, wir dürfen behaupten, dass wir in der Schweiz fast die Einzigen sind, die für Kids auf dieser Stufe Trainings anbieten. Hilfreich ist auch, dass wir alle Übungen vorzeigen können, da wir die technischen Fähigkeiten dafür haben. 

Konkurriert ihr mit eurer Schule die Akademien?

Costanzo: Wir sehen uns nicht als Konkurrenz und wollen auch keine sein. Wir denken, dass die Qualität der Trainings gerade bei den Jüngsten sehr wichtig ist. Das fehlt bei den Akademien sicher, was aber nicht als Vorwurf gemeint ist. Wir haben nicht das Gefühl, dass wir den Fussball erfunden haben, und wollen auch nicht, dass das so rüberkommt.

Derzeit werden in den Akademien grosse, athletische Kinder, wenn möglichst linksfüssige, gefördert. Davide, du warst ein kleiner Supertechniker. Hättest du heute noch Chancen? 

Chiumiento: Der Fussball hat sich verändert. Das Wichtigste bleiben aber in diesem Alter die Basics: Jonglieren, Ballkontrolle mit rechts und mit links, einen sauberen Pass und dann auch den Abschluss. Der Strassenfussball von früher fehlt mir, den wollen wir mit unserer Halle bieten. Das Wichtigste ist, dass der Ball dein Freund wird. Wir haben gemerkt, dass bei den Jüngsten viel mehr möglich ist. Man sieht, dass wir da im Vergleich zum Ausland noch hinterherhinken. 

Ihr seid zwei grosse Namen im Schweizer Fussball. Spielt ihr mit den Träumen der Kinder? So nach dem Motto: Wer zu Costanzo und Chiumiento kommt, wird eher Profi …

Davide Chiumiento wechselte mit 15 von St.Gallen zu Juventus Turin.
Davide Chiumiento wechselte mit 15 von St.Gallen zu Juventus Turin.
zVg

Costanzo: ... Nein, solche Versprechen, dass man mit uns und dank unseres Beziehungsnetzes schneller Profi wird, machen wir sicher nicht. 

Viele Ex-Profis bieten mittlerweile Fussball-Camps an.

Costanzo: Wir bieten keine Camps in den Ferien an. Wir stehen täglich auf dem Platz. Das ist, was uns ausmacht und etwas komplett anderes.

Ihr spielt keine Meisterschaft. Wie misst ihr euch mit anderen Teams?

Chiumiento: Wir haben noch Kontakte von früher. Auch in Italien, Spanien oder Deutschland. Ab und zu haben wir das Gefühl, die Jungs haben gut gearbeitet und sind gut vorbereitet. Dann gehen wir für zwei, drei Tage ins Ausland und bestreiten ein Turnier. Es ist immer auch ein Realitäts-Check für die Kinder. In der Schweiz ist man schnell mal besser oder vielleicht weiter als andere Kinder. Aber geht man ins Ausland, sieht das anders aus. Wir durften schon gegen Juve, Milan oder Inter spielen.

Wahrscheinlich träumt jedes Kind davon, Profi zu werden. Ihr kennt das aus eigenen Erfahrungen. Ist es erstrebenswert, Fussballprofi zu sein?

Chiumiento: Sicher träumen die Kids. Aber ich habe das Gefühl, wir haben den Fussball früher noch viel mehr geliebt, als sie heute. Früher wollte man einfach tschutten, weil man den Fussball liebte. Heute habe ich eher das Gefühl, dass die Kinder eher die Idee lieben, Fussballer sein. Auch aus vielen anderen Gründen. 

Davide, du bist mit 15 nach Italien zu Juventus. Würdest du dies deinem Sohn empfehlen oder ihm eher davon abraten?

Chiumiento: Ich würde ihn schon mit Zwölf hinschicken. (Lacht). Im Ernst: Das ist eine tolle Lebenserfahrung, ich würd's zumindest wieder tun. 

Juckt's euch noch in den Füssen, wenn ihr in einem Stadion seid?

Costanzo: Dieses Jucken, wenn du in einem Stadion bist, wird wohl nie vergehen. Die Gefühle, die Emotionen, die du als Fussballer auf dem Platz hattest, willst du gerne immer wieder erleben. Irgendwann ist aber mal bei allen fertig. 

Eure Karrieren sind vorbei. Bedauert ihr, dass ihr nicht alles aus euren Fähigkeiten herausgeholt habt?

Supertechniker: YB's «Nr. 10» Moreno Costanzo hier im Jahr 2010. 
Supertechniker: YB's «Nr. 10» Moreno Costanzo hier im Jahr 2010. 
Keystone

Chiumiento: Ehrlich gesagt bedaure ich es schon manchmal. Ich habe selber viele Fehler gemacht. Es hat einige Situationen gegeben, in welchen ich das Gefühl hatte, dass ich mental nicht auf dem Level war, um ganz oben mitspielen zu können. Im Nachhinein ist mir klar, dass ich viele Dinge zu persönlich genommen habe.

Fühltest du dich auch von den Trainern missverstanden?

Chiumiento: Darüber habe ich oft nachgedacht. Ich hatte Glück, dass ich bei den Junioren des FC St.Gallen sehr gute Trainer hatte. Danach hatte ich weniger Glück. Mehrheitlich fehlten mir Trainer, die mir auch gewisse Freiheiten gegeben haben oder solche, die mich besser machen konnten. Einige hätten einen besseren Job machen können, vor allem menschlich. Aber ich weiss, dass ich oft selbst das Problem war. 

Du wurdest als 19-Jähriger in der Champions League für Alessandro Del Piero eingewechselt, galtest als sein Nachfolger? Es blieb dein einziger Einsatz in der Königsklasse mit Juve.

Chiumiento: Ob es am Ende mental oder fussballerisch nicht ganz gereicht hat, lasse ich andere beurteilen. Aber es hat sicher etwas gefehlt. Das ist so. 

Also nicht rundum zufrieden mit deiner Karriere?

Chiumiento: Es gab sicherlich viele Entscheidungen, die schwierig waren. Auch die Sache mit der Schweizer Nati. Aber immerhin war Quillo (Tranquillo Barnetta) mega happy, als er im 2004 an der EM spielen konnte. Und ich machte damals Ferien zuhause. Wenn ich zurückdenke, ist das eigentlich schon sehr crazy. Aber es freut mich ja, dass ein anderer in dieser Situation profitieren konnte und danach eine super Karriere gemacht hat.

Der italienisch-schweizerische Doppelbürger Chiumiento will sich Anfang der Nuller-Jahre noch nicht für oder gegen die Schweiz entscheiden. Er träumt noch vom Nati-Dress der «Azzurri». Deshalb hat die Juve-Leihgabe auch A-Nati-Coach Köbi Kuhn zweimal abgesagt. U21-Nati-Trainer Challandes sagte damals: «Ich werde Davide bald wieder in Italien besuchen. Köbi und ich akzeptieren die Situation, aber wir geben sicher nicht auf.» 2010 debütiert Chiumiento dann unter Ottmar Hitzfeld beim 1:3 gegen Uruguay. Es blieb sein einziges Länderspiel.

Moreno, im Gegensatz zu Davide bist du während deiner ganzen Karriere in der Schweiz geblieben. 

Costanzo: Genau. Ich will mich auch gar nicht mit Davide vergleichen. Jeder macht seinen eigenen Weg.

Bereust auch du gewissen Entscheidungen?

Costanzo: Sonnen- und Schattenseiten gibt's in jedem Beruf und im Nachhinein ist man immer klüger. Auch bei mir gab es zwei, drei Entscheidungen, die ich rückblickend anders gefällt hätte. Aber trotz allem: Ich glaube, wir haben beide eine gute Karriere gemacht und durften ein paar Profispiele erleben. Das ist ja schon speziell.

Weil so viele Talente auf dem Weg nach oben scheitern?

Costanzo: Ja, es gibt so viele Träume, die zerplatzen. Wir kennen diese Zahlen. Die Anzahl derjenigen, die es nicht schaffen, ist sehr gross. Wir haben es geschafft. Auch wenn nicht alle von uns gefällten Entscheidungen richtig waren, das geht aber den meisten so. Deshalb glaube ich, dürfen wir auch stolz sein. Jetzt hoffen wir, dass viele junge Fussballerinnen und Fussballer in den nächsten zehn Jahren hier in der Ostschweiz rauskommen und dass die eine oder der andere noch einen besseren Weg machen können als wir.

Chiumiento und Costanzo: Einst Wunderkinder, heute Kindertrainer

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Davide Chiumiento galt als Jahrhunderttalent, wechselte mit 15 zu Juventus, auch Moreno Costanzo war ein Hochbegabter. Nun führen die Ostschweizer eine Fussballschule. Bei blue sprechen sie über Kinderträume, leere Versprechungen und ihre Karrieren.

23.09.2025