Der Aufschrei in München war gross, als Bundestrainer Joachim Löw im vergangenen März gleich drei Bayern-Akteure ausbootete. Jetzt verfolgt man an der Säbener Strasse offenbar ähnliche Absichten.
«Hätte ich gesagt, was ich denke, hätte das Internet einen Salto rückwärts und dann vorwärts gedreht. Das wollte ich mir ersparen und Jogi Löw übrigens auch.» So kommentierte Uli Hoeness im März die Ausbootung von Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng aus der deutschen Nationalmannschaft gegenüber dem Vereinsmagazin «51» und machte sein Unverständnis deutlich. Allgemein wurde man an der Säbener Strasse vom unangekündigten Besuch des Nationaltrainers überrascht, insbesondere der Zeitpunkt der Bekanntgabe irritierte die Münchner.
«Auf einmal stand Oliver Bierhoff in meinem Büro. Das kam mir vor wie eine James-Bond-Aktion, das war für alle nicht so toll», kritisierte auch Karl-Heinz Rummenigge die DFB-Verantwortlichen bei «Sky». Der 63-Jährige dürfte sich ziemlich vor den Kopf gestossen gefühlt haben, hatte er sich doch nur ein halbes Jahr zuvor an der berüchtigten «Wut-Pressekonferenz» der Bayern hinter die beiden Innenverteidiger gestellt. «Wenn ich über unsere Innenverteidiger von Altherrenfussball lese, dann muss ich sagen: Geht's eigentlich noch?!»
Der Umbruch in der Nationalmannschaft
Bundestrainer Joachim Löw allerdings begründete seinen Entscheid ähnlich und hatte eine neue «Ausrichtung mit jungen Spielern und mit einer anderen Spielidee» zum Ziel. Der radikale Umbruch ist mittlerweile bereits weiter fortgeschritten, im DFB-Team sind seit März mit Manuel Neuer, Toni Kroos und Marco Reus nur noch drei Routiniers mit dabei, die mehr als 30 Jahre auf dem Buckel haben. Prompt findet «die Mannschaft» in jüngster Vergangeheit zurück zu alter Stärke. Die Innenverteidiger Niklas Süle, Matthias Ginter und Antonio Rüdiger machen das Duo Hummels/Boateng vergessen, in der Offensive sind Serge Gnabry und Leroy Sané mehr als ebenbürtige Ersatzmänner für Müller.
Der Erfolg in den letzten Partien gibt Löw Recht – einmal mehr. Nach dem blamablen Vorrunden-Aus an der WM 2018 und dem Abstieg aus der Nations-League-A ist Deutschland mit drei Siegen und einem Torverhältnis von 13:2 in die EM-Qualifikation gestartet.
Löws Entscheid, Hummels, Boateng und Müller auszubooten, scheint im Nachhinein betrachtet auch den Verantwortlichen des FC Bayern die Augen geöffnet zu haben. Nur drei Wochen nach dem Besuch des 59-jährigen Bundestrainers gibt der FCB mit Lucas Hernández die Verpflichtung eines weiteren potentiellen Innenverteidigers bekannt, obwohl mit Benjamin Pavard bereits Verstärkung geholt wurde. Ein klares Zeichen für Boateng und Hummels, die ab da von Tag zu Tag weniger Rückendeckung erhalten.
Kaum ist die Saison zu Ende, bestätigt sich der Eindruck. Zuerst macht Hoeness klar, dass Jerome Boatengs Zukunftsaussichten beim deutschen Rekordmeister düster sind: «Für ihn wäre es besser, eine andere Luft zu geniessen. Ich würde ihm als Freund empfehlen, sich einen neuen Verein zu suchen». Doch ein Transfer hat sich bis heute nicht ergeben, was Mats Hummels Abgang möglicherweise begünstigte.
Löws Ausbootung als Auslöser?
Denn der BVB-Rückkehrer zeigte in der Rückrunde ansprechende Leistungen und lieferte eigentlich genug Argumente für einen Verbleib. Doch bei den Münchnern hat in den letzten Monaten offensichtlich ein Umdenken stattgefunden, der längst fällige Umbruch ist eingeläutet. Neben Hummels wurden in diesem Sommer auch die Routiniers Robben (35 Jahre), Ribéry (36 Jahre) und Rafinha (33 Jahre) verabschiedet – die neuverpflichteten Innenverteidiger Hernandez und Pavard stehen mit ihren 23 Jahren dagegen noch am Anfang ihrer Karrieren.
Die Parallelen zur Nationalelf sind offensichtlich. Ob die Personalentscheide von Löw Auslöser für die Wachablösung beim FCB sind, darüber lässt sich streiten. Garantiert wird sich der Nationaltrainer in seiner Arbeit aber bestätigt fühlen – gut möglich, dass man ihm für die Ausbootung der vereinseigenen Spieler auch in München schon bald dankbar sein wird.