Wer wüsste nicht gern im Vorfeld, wer Europameister wird. Anders als Sport-Experten gehen Forscher bei Prognosen nach wissenschaftlichen Kriterien vor. Lagen sie bislang richtig? Wegen der Schweizer Nati eher weniger.
«Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen» lautet ein berühmtes geflügeltes Wort, das wahlweise Karl Valentin, Mark Twain oder Niels Bohr zugeschrieben wird. Die Binsenweisheit gilt auch für die diesjährige Fussball-Europameisterschaft der Männer. Programmierer und Statistiker lagen trotz ausgefeilter Methoden beim bisherigen Turnierverlauf nur zum Teil richtig. Denn gegen den Zufall ist schwer anzurechnen.
Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben einen Algorithmus zum EM-Ausgang programmiert und sahen die Mannschaften von Frankreich und England – letztere mit leichtem Vorteil – im Finale. Frankreich schied bekanntlich am Montagabend aus. England, das am Dienstag die deutsche Mannschaft im Achtelfinale bezwang, kann das Finale noch erreichen.
Bis dahin gibt es aber noch viele Unwägbarkeiten. «Ein blöder Abpraller vom Pfosten, ein unglückliches Eigentor – es sind eben die Zufälle, die jede statistisch berechneten Wahrscheinlichkeiten konterkarieren können», sagt Alexandros Stamatakis, Professor für High Performance Computing am KIT und Forschungsgruppenleiter am Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS). Zusammen mit Ben Bettisworth vom HITS hat er eine Software entwickelt.
Schweiz macht Strich durch die Rechnung
Das Problem dabei: «Fussballergebnisse während einer EM sind extrem schwer vorherzusagen, weil insgesamt wenige Tore fallen und viele auch durch Zufall entstehen», erklärt Stamatakis. «Die Spielstärke einer Mannschaft ist nicht unbedingt in Ergebnissen zu fassen.»
Das habe man am Montag beim Achtelfinal-Spiel Frankreich gegen die Schweiz gesehen. «Frankreich war in allen Belangen stärker, aber der Zufall wollte es nicht.» Es kam zum Elfmeterschiessen: Frankreich verlor mit 4:5. Einfacher sei es beispielsweise, die Bundesliga zu simulieren: Weil da eine Saison lang alle gegen alle spielen und Zufälle sich über die Saison hinweg herausmitteln, sagt Stamatakis.
10'000 Mal durchgespielt
Stamatakis und Bettisworth bauten auf Erkenntnisse von Forschern der Technischen Universitäten Dortmund und München sowie Statistik-Experten unter anderem der Uni Innsbruck auf. Diese hatten vor Turnierstart paarweise Gewinnwahrscheinlichkeiten errechnet und dafür unter anderem Spielstärken der Teams und Marktwert von Spielern kombiniert.
Anschliessend wurde die EM 100'000 Mal Spiel für Spiel durchsimuliert. Mit ähnlichem Ergebnis wie bei den KIT-Forschern: Europameister wird Frankreich. Für einen Turniersieg der deutschen Mannschaft gaben die Statistiker eine Wahrscheinlichkeit von 10,1 Prozent an.
Wird Belgien Europameister?
Auf Datenbasis der Kollegen ermittelten Stamatakis und Bettisworth nun selbst die Gewinnwahrscheinlichkeiten bei der EM – dadurch, dass keine Simulationen notwendig waren, innerhalb von Mikrosekunden. Geholfen hat ihnen dabei ein Algorithmus aus der Bioinformatik, wie man ihn zur Erstellung von Stammbäumen verwendet – etwa denen von Coronaviren und inwieweit diese Viren verwandt sind.
Auch andere Experten beschäftigen sich mit Vorhersagen von Fussballspielen: So das Startup KickForm, für welches der Physiker und Autor des Buches «Der perfekte Tipp», Andreas Heuer, den Algorithmus entwickelt hat. Er rechnet unter anderem mit den sogenannten Elo-Zahlen, bei denen Mannschaften nach ihren Ergebnissen bewertet werden.
Im Finale sehen er und KickForm Belgien und England – und Belgien als künftigen Europameister. Volkswirte der Deka-Bank wiederum rechneten das schon ausgeschiedene Frankreich als Europameister aus, lagen aber zumindest mit der Achtelfinale-Prognose für das Spiel England gegen Deutschland richtig.
Krake Paul bleibt ungeschlagen
Wer am Ende Europameister wird? Vielleicht orakeln Tiere gar nicht mal so schlecht. Der inzwischen verstorbene Krake Paul zum Beispiel tippte bei der WM 2010 in Südafrika die sieben Spiele mit deutscher Beteiligung samt Finale richtig.
Bei der WM im Jahr 2018 versuchten unter anderem ein Dackel, ein Schneeleopard und eine Ziege ihr Glück. Für die aktuelle EM ist Elefantendame Yashoda aus Hamburg sehr gefragt. Für Dienstagabend hatte sie allerdings einen Sieg der Deutschen vorausgesagt.