Julen Lopetegui wurde am Tag vor dem ersten WM-Spiel als Nationaltrainer Spaniens entlassen, weil er dem Lockruf aus Madrid nicht widerstehen konnte. Vier Monate später ist er arbeitslos. Der 52-Jährige hat im letzten halben Jahr so ziemlich alles falsch gemacht.
In der heutigen Zeit sind Verträge im Fussball oft nur noch ein Stück Papier, das man eigentlich direkt in die Tonne kloppen kann. Auch die Unterschrift von Lopetegui unter dem Vertrag der spanischen Nationalmannschaft war ein wertloses Gekritzel – auch wenn er keinen Vertragsbruch begangen hat. Lopetegui machte wenige Tage nach der Vertragsverlängerung – und noch vor dem ersten WM-Spiel – Gebrauch von der Ausstiegsklausel und kündigte seinen Wechsel zu Real Madrid nach dem Turnier an.
Spaniens Verbandschef Luis Manuel Rubiales hatte laut eigener Aussage erst fünf Minuten vor der offiziellen Verkündigung seitens Real Madrid davon erfahren. Wenige Stunden später erklärte Rubiales an der Pressekonferenz am Tag vor dem Auftaktspiel gegen Portugal, dass Lopetegui eine grossartige Arbeit mit der Mannschaft geleistet habe, «aber wir als Verband des spanischen Fussballs müssen eine Botschaft senden an alle Mitarbeiter und zwar, dass es gewisse Verhaltensweisen gibt, an die man sich zu halten hat». Und weiter: «Wir befanden uns in einer sehr schwierigen Situation. Aber was ich nie tun werde, ist mich selbst zu verraten. Ich habe mit jedem gesprochen, mit dem ich reden musste, bevor ich diese Entscheidung traf.»
Zeit einen Nachfolger zu suchen blieb nicht: Deshalb übernahm Fernando Hierro, der seit November 2017 als Sportdirektor der spanischen Nationalmannschaft amtete, den Trainerjob. Er war ein grosser Spieler, doch Erfahrungen als Trainer brachte er so gut wie keine mit. Rubiales glaubte nicht, dass der Trainerrauswurf Auswirkungen auf die Leistung der Spanier an der WM hat – doch er hatte sich getäuscht. Spanien, einer der meist genannten WM-Favoriten, spielte eine WM zum Vergessen. Nur im ersten Spiel gegen Portugal, dem spektakulären 3:3, erreichte die Mannschaft Normalform. Es folgte ein glückliches 1:0 gegen den Iran und im letzten Gruppenspiel kam man gegen Marokko nicht über ein 2:2 hinaus. Im Achtelfinal scheiterten die Spanier trotz grosser Feldüberlegenheit an Gastgeber Russland. Nach 120 Minuten stand es 1:1, im Elfmeterschiessen versagten die Nerven.
Lopetegui hat sich verpokert und Spanien die Chance auf den WM-Titel geraubt
Hätte Spanien unter Lopetegui ähnlich schlecht gespielt? Die Frage ist rein hypothetischer Natur und lässt sich folglich nicht beantworten – doch man kann es sich nicht vorstellen. Denn unter dem ehemaligen Torhüter hatte Spanien, er übernahm im September 2016, kein einziges Spiel (20) verloren. Die Spanier spielten einen dominanten Fussball, schön anzusehen und effektiv. In der WM-Quali hat man nur in Italien Punkte abgegeben (1:1). Zuhause spielte man den gleichen Gegner im wichtigen Spiel um den Gruppensieg schwindelig und siegte hochverdient mit 3:0.
Der Gedanke, dass Lopetegui inzwischen ein Weltmeister sein könnte, ist nicht abwegig. Natürlich hätte alles passen müssen, doch bei Spanien passte bis zu seiner Entlassung auch so ziemlich alles. Deshalb dachte er wohl, dass er unentlassbar ist – aufgrund seiner eindrücklichen Bilanz und weil er dem Nationalteam keine Zeit gab, einen Nachfolger zu installieren. Doch Lopetegui hat sich gewaltig verpokert.
In Madrid grandios gescheitert
Einen (vermeintlichen) Vorteil hatte die frühzeitige Entlassung allerdings, denn so konnte Lopetegui sein neues Team vom ersten Training an auf die neue Saison vorbereiten. Zu diesem Zeitpunkt wusste er aber noch nicht, dass er ohne Ronaldo planen muss – ein Wechsel, den sich kaum jemand vorstellen konnte und der in Madrid ein sportliches Erdbeben auslöste. Der Abgang stellte Lopetegui vor eine riesige Herausforderung – wie lässt sich der Superstar ersetzen?
Den Schlüssel fand er nicht und so wurde er am Montag nach nur 13 Pflichtspielen (6 Siege, 2 Unentschieden, 5 Niederlagen) und der desaströsen 1:5-Pleite im Clasico gegen Barça entlassen. Das Mitleid hält sich in Grenzen, Lopetegui hat es nicht anders verdient. Sorgen muss man sich über die Zukunft des 52-Jährigen ohnehin keine machen – bereits kursiert das Gerücht, dass er schon bald den bei Manchester United seit Wochen angezählten José Mourinho beerben könnte. Kurioserweise wird genau dieser Mourinho in Madrid als möglicher Nachfolger von Lopetegui gehandelt.