Drei Perspektiven «Geisterspiele wären eine gute Möglichkeit, den Frustrationslevel zu reduzieren»

dpa

30.4.2020

Sportwissenschaftler Ingo Froböse, Fussballprofi Matthias Ginter und Psychiater Reinhard Haller (v.l.n.r.).
Sportwissenschaftler Ingo Froböse, Fussballprofi Matthias Ginter und Psychiater Reinhard Haller (v.l.n.r.).
Bild: Getty / Screenshots

Ein Psychiater, ein Sportwissenschaftler und ein Profifussballer äussern sich zum möglichen Neustart in der Bundesliga. Sie sprechen von Chancen, Gefahren und Hoffnungen.

Psychiater über die Chancen des Fussballs für die Gesellschaft

Der renommierte Psychiater Reinhard Haller aus Österreich sagt in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (Donnerstag) auf Geisterspiele angesprochen: «Klar wäre es besser, wenn die Psychologie der Masse, das volle Stadion, dazukäme. Aber von den emotionalen Bedürfnissen her betrachtet, kann auch ein Spiel ohne Zuschauer viel erfüllen», meinte Haller.

Das hohe Aggressionspotenzial, das sich in den Menschen während der Corona-Krise mit ihren Einschränkungen aufgestaut habe, müsse irgendwie abgeführt werden, erklärte der 68 Jahre alte Psychiater und Gutachter. «Durch Spaziergänge und eine Stunde Bewegung am Tag geschieht das zu wenig. Beruflicher Wettbewerb ist derzeit kaum möglich, und Wettkampfsport fällt auch aus. Was bleibt da übrig, als Massen-Aggressionsabfuhr auf diesem Weg zu ermöglichen?»

Haller ist davon überzeugt, dass das auch vor dem Fernseher in der Wohnung funktioniert. «All das, was man emotional hineinlegt – die Identifikation mit der eigenen Mannschaft, die taktischen Überlegungen, der direkte Kampf, die eigenen Reaktionen auf Sieg oder Niederlage –, kommt auch dort zum Tragen. Zwar nicht in der intensiven Art und Weise wie im Stadion, aber doch ganz ordentlich», erklärte er. «Geisterspiele wären eine gute Möglichkeit, den Frustrationslevel zu reduzieren und den zunehmenden Aggressionsdruck in sozial verträglicher Weise zu kanalisieren.»


Sportwissenschaftler: «Wenn ich von null auf hundert fahre, geht das immer schief»

Sportwissenschaftler Ingo Froböse befürwortet die FIFA-Überlegungen, die Zahl der Auswechslungen im Fussball vorübergehend von drei auf fünf zu erhöhen. Es ermögliche den Spielern mehr Schonung und Regeneration, sagte der Professor von der Deutschen Sporthochschule Köln am Donnerstag im ARD-«Morgenmagazin».

Er wies im Zusammenhang mit einem möglichen Neustart der Bundesliga in der Corona-Krise auch auf fehlenden Freundschaftsspiele vorher hin. «Wenn ich von null auf hundert fahre, geht das immer schief», meinte der 63-Jährige und sprach von idealerweise vier bis sechs Wochen mit wettkampfspezifischer Vorbereitung.

«Neun Wochen Pause haben wir gerade hinter uns, das ist schon ein Problem. Die Länge macht natürlich gerade das Gift», sagte Froböse. Es gebe Studien, wonach es fast bis zu 20 Wochen dauern könne, bis das aktuelle Niveau wieder hergestellt sei, wenn mehr als acht bis zehn Wochen nicht entsprechend trainiert worden sei. Eine andere Studie hingegen zeige allerdings, dass nach siebenwöchigem Training, einer gleichlangen Pause und erneut sieben Wochen Training bessere Zuwächse an Kraft und Muskelmasse erzielt würden.


Gladbach-Profi Ginter hofft auf Neustart und Veränderungen im Fussball-Geschäft

Nationalspieler Matthias Ginter hofft auf Veränderungen im Fussball-Geschäft nach der Corona-Krise. «Ich glaube, dass es kein Geheimnis ist, dass der Fussball, gerade im Profibereich, sich immer weiter von der normalen Gesellschaft entfernt hat», sagte der 26 Jahre alte Abwehrspieler des Bundesligisten Borussia Mönchengladbach in einem SWR-Interview. Horrende Ablösesummen von mehr als 200 Millionen Euro könne man keinem Amateurfussballer mehr erklären. «Das ist nicht mehr greifbar.»

Der Profibereich habe sich in den vergangenen Jahren «immer weiter spezialisiert», immer mehr Gelder seien geflossen. Der Amateurbereich sei dagegen mehr oder weniger stehengeblieben. Entweder man fördere den Amateurfussball, um eine gewisse Balance wiederherzustellen, oder man schraube den Profibereich ein wenig herunter und verteile alles ein wenig um. «Wie das genau funktioniert, weiss ich nicht. Aber ich glaube, es ist schon mal wichtig, dass man erkannt hat, dass man sich als Profifussballer immer weiter entfernt hat.»

Matthias Ginter ist bei Borussia Mönchengladbach eine feste Grösse.
Matthias Ginter ist bei Borussia Mönchengladbach eine feste Grösse.
Bild: Getty

Unsicher ist Ginter bei der Frage, ob und wann die Bundesliga den Spielbetrieb wieder aufnehmen soll. «Ich als Fussballer muss sagen, dass ich natürlich weiterspielen will. Unbedingt, weil es um wahnsinnig viele Existenzen auch geht.» Es sei «vielleicht ja auch für den einen oder anderen zuhause ein Schritt zurück in den Alltag, wenn er samstags um 15.30 Uhr die Bundesliga-Konferenz sehen kann».

Andererseits versteht Ginter auch «die Leute, die sagen, dass der Fussball keine Sonderrolle einnehmen sollte». Eine perfekte Lösung sieht er nicht: «Ich denke, wir müssen da auf einen Kompromiss kommen, dass wir uns da vorbildlich verhalten, wenn weitergespielt wird. Und dann versuchen, den Leuten zuhause den Fussball und für die Fussballverrückten das Leben im positiven Sinn zurück zu bringen.»

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