Er setzt auf Bayern-SpielerJogi Löw trotzt allen Zweifeln und negativen Vorzeichen
dpa
9.10.2018
Von der Krise des FC Bayern will sich der Bundestrainer freimachen. Die grossen Aufgaben in der Nations League gegen die Niederlande und Frankreich seien Motivation genug, sagt Löw. Die Selbstkritik nach der WM soll helfen, Abstiegskampf und neue Debatten zu vermeiden.
Schon vor dem öffentlichen Training in der Hauptstadt zeigte der Bundestrainer Fannähe und machte sofort klar, dass er in den brisanten Nations-League-Spielen gegen die Niederlande und Frankreich auf die ins Formtief gestürzten Bayern-Spieler setzen will. «Ich weiss schon, welche Qualitäten diese Spieler auch haben. Es war in der Vergangenheit immer wieder mal so, dass Spieler im Verein nicht in der Topverfassung waren, bei der Nationalmannschaft dann trotzdem eine tolle Leistung gezeigt haben. Man wird es im Training sehen. Die Spieler sind auch erfahren genug, mit solchen Situationen umzugehen», sagte Löw in Berlin zur Gruppe um Kapitän Manuel Neuer, Jérôme Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller.
Der Bundestrainer sprang kraftvoll im blauen Pullover und mit schwarzem Schal vor dem Teamhotel im Tiergarten aus einem Kleinbus und schrieb in Begleitung von Torwartcoach Andreas Köpke Autogramme. Für den späten Nachmittag war das erste öffentliche Training seit mehreren Jahren im eigenen Land angesetzt. 5000 Tickets wurden dafür kostenlos verteilt.
«Es war auch Teil unserer Selbstkritik nach der WM, dass wir gesagt haben, wir müssen uns natürlich gegenüber den Fans wieder ein bisschen öffnen», sagte Löw. Die Mannschaft wollte aber «nicht irgendwas inszenieren», sondern «den Fans zeigen, dass wir richtig arbeiten». Es gibt sehr viel zu tun in dieser Woche.
Zwei schwierige Auswärtsspiele in der Nations League
Löw bereitet sein Team in Berlin auf die Punktspiele am Samstag in Amsterdam und drei Tage später in Paris (beide 20.45 Uhr) vor. «Wir sind uns natürlich der Schwere der Spiele bewusst, wir spielen auswärts. Aber wir sind zuversichtlich. Wir haben alle Möglichkeiten, auch wenn ein paar Spieler abgesagt haben», sagte der DFB-Chefcoach. Ein Fragezeichen stand beim Treffpunkt noch hinter Leon Goretzka. Der 23 Jahre alte Mittelfeldspieler war zunächst wegen muskulärer Probleme in München geblieben und wurde dort untersucht.
Die Trainingstage bis zum Spiel gegen die Niederländer will Löw nutzen, um «uns gut einzustellen, vorzubereiten und die Spieler wieder ein bisschen aufzubauen». Inklusive Goretzka stellen die Bayern ein Drittel des 21-köpfigen Kaders. Auch bei anderen Nationalspielern wie etwa Toni Kroos lief es zuletzt nicht rund. «Zwei Wochen enttäuschende Ergebnisse, Spiele und auch Pech», beschrieb Kroos seine eigenen Situation bei Real Madrid: «Es wird eine grosse Herausforderung sein, wieder aufzustehen.»
Löw will in Gesprächen mit den Bayern-Profis ergründen, worin aus ihrer Sicht die Gründe für die Krise in München liegen. Für ihn ändere das aber nicht viel: «Wenn man über Boateng, Hummels, Neuer und Müller redet – diese Spieler haben einfach auch viel Erfahrung. Sie können auch mal innerhalb von einer Woche eine ganz andere Leistung zeigen.» Ein Tapetenwechsel sei gut in so einer Phase.
«Die meisten von den Spielern haben schon einige Situationen gemeistert, die so ähnlich waren», sagte Julian Draxler von Paris Saint-Germain. «Deswegen mache ich mir um die Bayern-Spieler keine Gedanken. Vielleicht ist es auch ganz gut, dass sie jetzt hier sind und den Stress, den sie in Bayern haben, mal vergessen.» Er betonte aber auch: «Wir brauchen natürlich die Bayern in Bestform.»
Die Fans begeistern
Profis wie Kroos oder Müller haben oft genug bewiesen, dass sie schnell von Verein auf Auswahl umschalten können. «Wir wollen zeigen, dass die deutsche Nationalmannschaft die deutschen Fans begeistern kann», sagte Müller. Der Offensivmann erinnerte an den Neustart im September mit einem 0:0 gegen Weltmeister Frankreich und einem 2:1-Sieg gegen Peru. «Wir müssen schauen, dass wir da anknüpfen», forderte Löw.
Natürlich seien sowohl die Niederländer als auch die Franzosen zwei Fussball-Nationen, die gegen Deutschland hochmotiviert seien. Da gehe es auch um das Prestige, unterstrich Löw. Und es geht darum, dass die Nationalmannschaft nach der WM-Blamage wieder in ruhigeres Fahrwasser kommt. Bei zwei Niederlagen würde der Abstieg aus der Liga A drohen – und eine neue Debatte um Löw. Für Mittelfeldmann Draxler ist die Nations League «nicht der grösste Druck, den wir im Fussball haben. Es gibt sicherlich wichtigere Turniere».
Kann Löw, der Weltmeister-Coach von 2014, überhaupt Abstiegskampf? «Das habe ich auch schon mitgemacht in meiner Zeit als Vereinstrainer», erwiderte der gebürtige Schwarzwälder vor dem noblen Teamhotel mit einem Lächeln. Zweifel lässt er nicht zu.
Mit der Nominierung des 27 Jahre alten Stürmers Mark Uth, der bei Schalke 04 noch torlos ist, hatte Löw verblüfft. Auch dass er nach der Absage der Offensivkräfte Marco Reus und Kai Havertz (beide Knieblessur) sowie von Verteidiger Antonio Rüdiger (Leistenprobleme) in Emre Can einen Mittelfeldspieler nachnominierte, ist erstaunlich.