Eine Handvoll Kandidaten kommen für die Nachfolge von Joachim Löw als Bundestrainer infrage. Und Lothar Matthäus. Zumindest bringt sich Deutschlands Rekord-Nationalspieler nun selbst ins Gespräch. Chancen auf den begehrten Job wird er aber kaum haben. Ein Kommentar.
Am Dienstag um 11 Uhr gab der DFB bekannt, dass sich Jogi Löw dazu entschieden hat, das Amt des Bundestrainers nach der EM im kommenden Sommer niederzulegen. Keine zwei Stunden dauerte es dann, bis die «Bild»-Zeitung titelte: «BILD kennt die Kandidaten-Liste: Einer von IHNEN wird Jogi-Nachfolger».
Auf die sechsköpfige Liste schaffte es etwas überraschend auch Lothar Matthäus. Weil sein ehemaliger Teamkollege Mehmet Scholl wenige Tage zuvor sagte, dass er sich den früheren Starspieler und heutigen TV-Experten durchaus als neuen Bundestrainer vorstellen könne: «Lothar kann man immer zuhören im TV – und er hat immer recht. Er ist ein grossartiger Trainer, was ich gehört habe von seinen ehemaligen Spielern. Der Mann hat 150 Länderspiele, der weiss alles über Fussball.»
Als Löw dann seinen Rücktritt ankündigte, sagte auch Ex-Nati-Trainer Ottmar Hitzfeld: «Ich kann mir Lothar Matthäus als Bundestrainer vorstellen. Ich sehe keinen besseren als ihn.» Matthäus selbst nahm sich zunächst aber gleich selbst aus dem Rennen. «Natürlich interessiere ich mich für den Fussball und die Nationalmannschaft, aber ich bin mit meinem Leben zufrieden. Das schliesse ich aus», sagte er zu «Sky».
«Dann würde ich es mir überlegen»
Nun folgt die Kehrtwende. Im «Bild»-Podcast «Bayern Insider» sagt der deutsche Rekordnationalspieler jetzt: «Der DFB wird entscheiden. Wenn irgendwann die Frage auf mich zukommt vonseiten der Verantwortlichen, musst du dir natürlich trotzdem Gedanken machen.» Franz Beckenbauer habe 1984 schliesslich auch nicht Bundestrainer werden wollen, sondern es im Endeffekt nur wegen des öffentlichen Drucks gemacht, erklärt Matthäus, der 1990 unter dem «Kaiser» Weltmeister wurde: «Wenn ich diesen Druck spüre und er positiv ist, würde ich es mir überlegen.»
Blickt man auf seine bisherige Station als Trainer, kommt allerdings nicht wirklich Euphorie auf. Sowohl bei Rapid Wien als auch bei Partizan Belgrad und dem israelischen Klub Maccabi Netanya war der Erfolg überschaubar. Auch als Nationalcoach von Ungarn und Bulgarien hatte Matthäus nur mässig Erfolg. Matthäus' letztes Engagement als Trainer liegt nun auch schon zehn Jahre zurück.
Was dazu kommt: Der bald 60-Jährige nimmt als TV-Experte bei «Sky» nie ein Blatt vor den Mund, spart also auch nicht mit Kritik. Das mussten auch deutsche Nationalspieler in junger Vergangenheit erfahren. Leroy Sané etwa sei «kein Spieler, der die Bayern verstärkt», sagte Matthäus nur wenige Monate nach dessen Wechsel nach München. Auch Manuel Neuer, Nummer 1 und Captain der Mannschaft, wurde harsch kritisiert. Matthäus forderte nach der WM 2018 nicht nur einen Wechsel im Deutschland-Tor, sondern bezeichnete auch Neuers Poker um einen neuen langfristigen Vertrag in München letztes Jahr als «frech».
Ein zu loses Mundwerk für den Job als Nationalcoach?
Mit Toni Kroos musste zuletzt ein weiterer Führungsspieler negative Worte von Matthäus über sich lesen. Er fände es «nicht richtig», dass Kroos im zentralen Mittelfeld gesetzt ist. «Da gibt es mittlerweile andere Spieler, die sich aufdrängen.» Auch Marco Reus, der allerdings schon etwas länger auf ein Aufgebot für die Nationalmannschaft wartet, sah sich zuletzt immer wieder mit Matthäus-Kritik konfrontiert.
Und natürlich mussten sich auch Jogi Löw und die Bosse des Deutschen Fussball-Bunds insbesondere nach der Blamage bei der WM in Russland und dem 0:6 gegen Spanien im letzten November einiges anhören. Als der DFB etwa nach dem Spanien-Spiel Löw den Rücken stärkte und darauf verwies, dass die aktuellen Ziele mit der EM-Qualifikation und dem Klassenerhalt in der Nations League erreicht wurden, meinte Matthäus vielsagend: «Wenn das die neuen Ziele sind, die der DFB ausgibt – das kann nicht der richtige Weg sein.»
Letztlich lässt sich festhalten: Lothar Matthäus ist mit seinem Resümee und seinem Charakter der perfekte TV-Experte. Er kennt sich gut aus und liefert Schlagzeilen. Doch man stelle sich vor, er wäre ab Sommer Trainer der deutschen Nationalmannschaft und müsste Spieler führen, die er Monate zuvor noch in aller Öffentlichkeit harsch kritisiert hat. Dieses Projekt wäre zum Scheitern verurteilt. So stehen Matthäus' Chancen auf den Job als Bundestrainer gleich null.