Der ansonsten sehr medienscheue Weltfussballer Luka Modric verrät in einem Interview mit «France Football», was seine Kindheitsträume waren, wie seine Spielphilosophie aussieht und was er über Zidane und Ronaldo denkt.
Du bist ein Kind des Balkankrieges. Wovon hat der kleine Luka im Bombenhagel geträumt?
Ja, es gab Krieg, und eine der besten Möglichkeiten, dem zu entkommen, war Fussball. Ich habe einfach mit meinen Freunden gekickt. Im Zadar Training Center begann ich dann mit der Zeit, das Spiel strukturierter zu lernen. Ich glaube, ich wollte schon seit meiner Geburt Profi-Fussballer werden. Fussball war in meinem Leben schon immer allgegenwärtig. Noch heute, wenn ich ein Bild von mir als Kind finde, ist sicher ein Ball drauf. Fussball ist wirklich meine erste Liebe. Als Kind träumte ich vom Erfolg, aber mein erster grosser Wunsch war es, eines Tages für die kroatische Nationalmannschaft aufzulaufen.
Warum lieber mit Kroatien als mit einem Klub?
Weil mein Land gerade seine Unabhängigkeit erlangt hatte (Anm. d. Red.: 1991) und dass es eine sehr starke Bedeutung hatte. Wenig später gab es 1998 die WM in Frankreich. Ich war damals zwölf Jahre alt und meine Vorbilder vom kroatischen Nationalteam hatten das Halbfinale erreicht. Ich wollte so sein wie sie.
Hat sich Ihre Beziehung zum Fussball verändert, als Sie 2003 zu Zrinjski Mostar kamen?
Nicht wirklich. Oder sehr wenig. Ich spüre die gleiche Freude wie zu Beginn. Insgesamt sind die Visionen vom Fussball, die ich als Kind hatte, und die von mir heute identisch. Ich will jeden Moment Spass haben.
Für Aussenstehende wirkt es fast so, als würdest du wie in deiner Kindheit spielen. Dein Fussball ist immer noch sehr spielerisch, fast sorglos ...
Ja, das ist es, und ich bin froh, mich so zu sehen. Ich fühle mich gut, wenn ich den Ball in meinen Füssen habe. So drücke ich mich am besten aus. Es ist schön, dass die Fans mein Spiel so interpretieren. Weil es bedeutet, dass sie auch Spass daran haben, mir beim Spielen zuzusehen. Es würde mich stören, wenn die Leute denken, dass es für mich eine Qual oder sogar eine grosse Anstrengung ist, auf dem Spielfeld zu sein.
Ist dieses Streben nach Vergnügen mit den Anforderungen auf höchstem Niveau vereinbar?
Mein erstes Ziel wird immer sein, glücklich zu sein in dem, was ich tue. Aber die Pflicht ist es, zu gewinnen. Letztendlich ist es der Sieg, an den wir uns erinnern. Was ich also versuche, ist, die beiden Sachen zu kombinieren, sprich den Sieg mit einem schönen Spiel zu erreichen. Jeder weiss, dass einige Spiele langweilig sind oder ohne Eleganz gewonnen werden. Aber ich habe auch gelernt, dies zu nutzen, denn ohne Sieg hat das schöne Spiel allein wenig(er) Bedeutung. Man muss wissen, wie man beides ausnutzt. Ein entscheidenes Tor in letzter Minute in einem engen Spiel kann auch individuelles und kollektives Glück bringen.
Was ist das letzte Spiel, in dem du grossartig gespielt hast?
Ich möchte drei Spiele nennen: Vor anderthalb Jahren der Champions-League-Final gegen Juventus (4:1). Ich erinnere mich auch an ein Spiel im vergangenen Jahr gegen Barça (2:0) im spanischen Supercup. Und das WM-Gruppenspiel gegen Argentinien (3:0) in Russland. Ich sage nicht, dass ich nicht auch andere Spiele genossen habe, aber diese haben mir ein besonderes Vergnügen bereitet. Wie gut habe ich mich auf dem Platz gefühlt!
Ist es ein Zufall, dass bei diesen drei Spielen grosse Gegner involviert waren?
Nein. Je wichtiger das Match ist, desto grösser ist das Risiko, je komplizierter der Gegner ist, desto mehr Spass habe ich.
Wann hast du genau Spass?
Bei vielen Sachen. Ein einfacher Pass ins Mittelfeld kann mich begeistern, genauso wie eine schöne Tor-Vorlage für einen Mitspieler. Das Vergnügen kann auch in einer speziellen Bewegung liegen, die den Gegner überrascht. Ich weigere mich, immer das Gleiche zu tun. Ich improvisiere gerne, besonders mit der Aussenseite des Fusses, meiner Lieblingsstelle. Es ist einfach so natürlich für mich. Zu Beginn meiner Karriere meinte Slaven Bilic sogar, damals mein Trainer in der Jugendmannschaft, dass ich den Ball mit der Aussenseite stärker schlage als mit der Innenseite. (lächelt)
Dein Basketballkollege Toni Kukoc sagte immer, dass ein Wurf in den Korb eine Person glücklich macht, aber ein entscheidender Pass macht zwei glücklich. Einverstanden?
Das ist genau das, was ich unter Fussball verstehe. Ja, es macht mich glücklich, Torvorlagen zu kreieren. Es ist auch schön, ein Tor zu erzielen, aber meine Vision des Spiels passt perfekt zu der von Kukoc.
Aber ist es im modernen Fussball noch möglich, eine fast idealistische Vorstellung vom Spiel zu haben?
Ja, ich glaube schon. Ausserdem gibt es Teams, die beweisen, dass man gleichzeitig gewinnen und eine gute Show bieten kann. Es gibt verschiedene Wege, Fussball zu verstehen. Aber es ist möglich, beides zu kombinieren. Auch heute, wo die Fitness der Spieler besser ist denn je, gibt es noch Raum für Talent und Technik. Und das wird immer so bleiben, denn Fussball ist ein Spiel, das mit dem Kopf gespielt wird. Du kannst alle deine physischen Stärken einsetzen, aber es gibt etwas, das man Fussballintelligenz nennt, die Intelligenz des Spiels, die immer wesentlich sein wird. Die Physis ersetzt nie die Intelligenz.
Das ist also nicht das Ende der Nummer 10 ...
Nein, die Nummer 10 wird immer bleiben. Es ist die beste Zahl der Welt!(lächelt)
Hast du nicht den Eindruck, dass du dich irrst? In den 70er Jahren zum Beispiel hatte eine Nummer 10 doch viel mehr Platz und Freiheiten ...
Es ist schwer, zwei so unterschiedliche Epochen zu vergleichen. Ich kann mir nur mit Mühe vorstellen, wie es damals gewesen ist. Der Fussball hat sich weiterentwickelt und ist halt das, was er heute ist. Es scheint heutzutage schwieriger zu sein, weil es weniger Platz gibt. Der Fussball wird mit jeder Saison noch schneller. Es liegt an mir, mich anzupassen. Ich bin ein Liebhaber dieser Sportart. Ich schaue mir auch gerne Spiele aus der Vergangenheit an, aus den 70er- und 80er-Jahren. Es ist fantastisch, was man sehen kann, aber man kann es sich heute nur schwer vorstellen.
Mit welchen Fussballspielern hättest du gerne zusammengespielt?
Erstens mit Boban, meinem Vorbild in der kroatischen Nationalmannschaft. Dann mit Zinédine Zidane, bei dem ich das Glück hatte, ihn später als Coach zu haben. Und mit dem wir die schönsten Momente in der Geschichte von Real Madrid erlebt haben, darunter dreimal in Folge den Titel in der Champions League. Manchmal hat er im Training mitgespielt. Es war beeindruckend, seine Eleganz und seine Bewegungen auf dem Rasen zu beobachten. Und der dritte ist Ronaldo Nazario.
Und Messi?
Ich spiele gegen ihn, nicht mit ihm (lacht). Es ist offensichtlich, dass Messi einer der besten Fussballspieler der Geschichte ist, aber ich werde nie mit ihm spielen.
Hättest du, als zurückhaltende Person, eine Karriere wie diejenige von Cristiano Ronaldo überhaupt geniessen können?
Ich bin eine schüchterne und zurückhaltende Person. Ich mag das Rampenlicht in den Medien nicht. Für mich passt es so. Cristiano Ronaldo ist auf einer anderen Ebene im Fussball. Also ist es normal, dass er es auch aus medialer Sicht ist. Ich bevorzuge die Einfachheit.
Wie ist deine Beziehung zu CR7 heute?
Sie ist ausgezeichnet. Wir verbrachten in Madrid sechs wunderbare Jahre zusammen, in denen wir eine Freundschaft und gegenseitigen Respekt entwickelten. Auch nach seinem Weggang bleiben wir in Kontakt, indem wir uns gegenseitig Nachrichten schicken. Und während einige Leute versuchen zu beweisen, dass es nicht der Fall ist, kann ich Ihnen sagen, dass wir uns weiterhin gut verstehen.
Glaubst du, du verdienst den Goldenen Ball dieses Jahr mehr als Ronaldo?
(Modric lächelt und braucht lange Zeit, um zu antworten.) Um die Wahrheit zu sagen: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich stehe nicht gerne hin und behaupte: 'Ja, ich bin es, der den Ballon d'Or verdient!'. Das Jahr 2018 war zweifellos das beste meiner Karriere und mein einziges Ziel ist es, so weiterzumachen. Du wirst mich nicht dazu bringen, zu sagen: 'Ich muss gewinnen!' Es sind die Experten, die darüber abstimmen müssen. Es liegt in ihren Händen.
Abgesehen von dir, wer sind die fünf Kandidaten, welche die Auszeichnung verdienen würden?
Für mich sind das Raphaël Varane, Antoine Griezmann, Kylian Mbappé, Cristiano Ronaldo und Lionel Messi.
Du hast drei Franzosen aufgezählt ...
Da in diesem Jahr die WM war, muss man dies natürlich berücksichtigen. Varane hatte auch eine fantastische Saison mit Real Madrid. Während der Weltmeisterschaft war er der beste Innenverteidiger im Turnier, neben den beiden Kroaten natürlich! (lacht) Mbappé ist ein aussergewöhnliches Talent, ein wunderbares Versprechen für die Zukunft. Er zeigt aber bereits jetzt ein hohes Niveau. Er ist wirklich etwas ganz Besonderes. Ich erinnere mich, dass mein Teamkollege, Danijel Subasic, mir eines Tages gesagt hat: «Es gibt einen jungen Spieler in Monaco, du wirst sehen, er ist unglaublich und eines Tages wird er einer der besten der Welt sein!» Er sprach bereits mit mir über Mbappé, als er noch nicht bekannt war. Kylian wird sich noch entwickeln. Und natürlich möchte ich Griezmann erwähnen, der von den drei Franzosen derjenige ist, den ich für alles, was er in diesem Jahr erreicht hat, hervorheben möchte.
Was nimmst du von der Weltmeisterschaft mit?
Schwer zu sagen. Wir erreichten das Finale und konnten unser Land vertreten. Der Traum eines jeden Kindes. Ich werde nicht leugnen, dass es sehr hart war, dieses Finale zu verlieren. Es herrschte grosse Enttäuschung und viel Traurigkeit ... Aber als wir nach Kroatien zurückkehrten und so viele Menschen auf uns warteten, realisierten wir, dass das Erreichen des Finals bereits ein grosser Erfolg war. Es war eine grosse Leistung für ein so kleines Land, das erst vor kurzer Zeit unabhängig wurde und gegen grosse Fussballnationen antreten musste. So bleibt im Laufe der Zeit vor allem das Gefühl des Stolzes.
Was hast du dir am Finaltag im Spielertunnel gedacht? Hast du mit Varane gesprochen?
Ja, ich erinnere mich, dass ich Raphael begrüsst habe ... aber er war ein wenig kühl! (lächelt)
Welche Erinnerungen hast du noch an das Finale?
Ich habe viele. Zuerst das Bild von dem Moment, als wir zum Aufwärmen gingen und wir alle unsere Fans sahen. Ich erinnere mich auch an das Ausgleichs-Tor (von Perisic). Aber auch der Moment, als ich zum besten Spieler der Weltmeisterschaft gewählt wurde. Es ist wahr, dass ich nicht sehr glücklich aussah. Wir haben verloren und ich liebe den Sieg, ich habe mich nicht sehr wohl gefühlt. Diese Auszeichnung bleibt trotzdem eine gute Erinnerung. Ausserdem erinnere ich mich, wie unsere Fans trotz Regen auf der Tribüne blieben, um uns zu applaudieren und weiter zu singen. Schlussendlich haben wir wegen Details verloren, aber Frankreich hat vier Tore erzielt. Nichts hinzuzufügen.
Mit Zidane und Cristiano Ronaldo haben Real diesen Sommer zwei sehr wichtige Figuren verlassen. Welche der beiden vermisst du am meisten?
Wir haben zusammen Momente erlebt, die man nicht wiederholen kann. Beide brachten Real Madrid viel. Zu Zidane kann ich sagen, dass ich durch unsere langen Gespräche viel von ihm gelernt habe. Wenn ein Fussballspieler wie er zum Trainer wird und dir vertraut, dir Ratschläge gibt, das ist etwas, was dich prägt. Ich werde Zizou und Cristiano sowohl als Profis als auch als Menschen vermissen. Der Erfolg hat uns vereint und uns auf eine ganz besondere Weise zusammengeführt. Aber jetzt haben wir ein neues Kapitel aufgeschlagen. Real verlangt von dir, dass du täglich nach vorne schaust. Man kann nicht immer an die Vergangenheit denken.
Warst du trotzdem überrascht von ihrer plötzlichen Abreise?
Ja, ich war überrascht. Ich habe keines von beiden erwartet. Ich hätte nicht gedacht, dass Zidane weggeht. Das Gleiche gilt für Cristiano Ronaldo. Übrigens, als das Gerücht über Cristiano aufkam, machten wir Wetten zwischen uns in der Garderobe. Wir waren sicher, dass er bleiben würde. Aber jeder trifft seine eigenen Entscheidungen im Leben. Ich kann mich nur bedanken für das, was sie für Madrid getan haben.