Der Schweizer Frauenfussball steht vor grossen Veränderungen. Nach Direktorin Tatjana Haenni verabschiedet sich auf Ende Jahr auch Nati-Trainer Nils Nielsen vom SFV.
Der Abgang von Direktorin Tatjana Haenni schmerzt. Im Oktober 2018 übernahm sie beim SFV die Leitung des Ressorts Frauenfussball. Als ehemalige Nationalspielerin, Trainerin und Funktionärin hat sie viel Pionierarbeit geleistet.
Zwischen 1999 und 2017 arbeitete sie zudem bei der FIFA als Abteilungsleiterin Frauenfussball und war unter anderem für die Organisation der Frauenfussball-WM-Endrunden zuständig. Haenni ist eine weltweit anerkannte Koryphäe im Frauenfussball. Den neu geschaffenen Job als Sportdirektorin der National Women’s Soccer League, den sie im Januar 2023 antritt, hätte sie sonst niemals bekommen.
Bis Ende Jahr ist sie aber noch in der Schweiz am Drücker. Eine grosse Aufgabe hat ihr nun Nils Nielsen abgenommen. Haenni muss sich nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, ob der 50-Jährige noch der richtige Trainer für die Nati ist. Sein Ende Jahr auslaufender Vertrag wurde im gegenseitigen Einvernehmen nicht verlängert.
Der Zeitpunkt der Meldung mag überraschen, schliesslich hat die Schweiz noch intakte Chancen, sich für die WM im kommenden Sommer zu qualifizieren – auch wenn der Weg wahrscheinlich im Oktober über die Playoffs führen wird. Die beiden letzten Gruppenspiele gegen Kroatien (2. September) und Moldawien (6. September) stehen aber noch aus. Warum wird die Trennung also gerade jetzt bekannt gegeben?
Hätte Nielsen ohnehin gehen müssen?
Offiziell macht Nielsen familiäre Gründe geltend. Aber möglicherweise will er damit auch einer möglichen Ausbootung zuvorkommen. Denn bereits zuvor war klar, dass der SFV nach den abschliessenden Gruppenspielen gegen Moldawien und Kroatien zu informieren plant, wie es mit Nielsen weitergeht. Und das unabhängig davon, ob die Schweiz an die WM in Australien und Neuseeland fährt, einen Umweg über die Playoffs machen muss oder gänzlich leer ausgeht.
Nielsen dürfte also gespürt haben, dass die Luft für ihn dünn wird. Denn ganz offensichtlich geniesst er nicht den uneingeschränkten Rückhalt innerhalb des Verbandes. Seine manchmal etwas kauzige Persönlichkeit dürfte dabei höchstens eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Auch er wird an den Resultaten gemessen – und die sprechen nicht für ihn. Im Kalenderjahr 2022 hat die Schweiz von neun Spielen nicht ein einziges gewonnen.
An der EM im Sommer konnte Nielsen ebenfalls keine Argumente für eine Weiterbeschäftigung sammeln. Im Auftaktspiel gegen Portugal verspielte die Schweiz eine 2:0-Führung. Als Zuschauer fragte man sich, warum der Coach nicht mit Wechseln auf die Passivität seines Teams reagiert. Er habe zu spät gesehen, dass es Handlungsbedarf gebe, meinte er nach der Partie darauf angesprochen. Es spricht für ihn, dass er die Schuld auf sich nahm. Aber es spricht eben nicht für ihn, dass er in einem so wichtigen Spiel etwas so Offensichtliches übersehen konnte.
Nielsen ist gewiss kein schlechter Trainer, 2017 führte er Dänemark sensationell in den EM-Final und mit der Schweiz schaffte er es über den Umweg Playoffs an die EM. Und die Chancen, sich für die WM 2023 zu qualifizieren, sind wie bereits erwähnt immer noch intakt. Aber seit er das Team im Jahr 2019 von Martina Voss-Tecklenburg übernommen hat, sind kaum Fortschritte erkennbar. Sein Abgang wiegt deshalb deutlich weniger schwer als jener von Tatjana Haenni.