Atalanta Bergamo spielt zum ersten Mal in der Champions League – und steht nun vor dem Einzug in die Viertelfinals. Klingt nach einem Märchen. Ist in Tat und Wahrheit aber der Ertrag guter Arbeit hinter den Kulissen.
Bergamo. 50 Kilometer von der Metropole Mailand entfernt liegt diese Stadt, die etwa so gross ist wie Luzern. Sie hat mit rund 120'000 Einwohnern knapp so viele wie Winterthur. Und sie besitzt einen Fussballverein, der drauf und dran ist, Europa zu erobern: Atalanta.
Während die mailändischen Top-Klubs Inter und AC Milan seit Jahren ihren glorreichen Erfolgen aus der Vergangenheit nachtrauern, trumpft Atalanta Bergamo national und international gross auf. Am Mittwoch gewinnt der Klub aus der Lombardei das Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Valencia mit 4:1 und steht damit mit einem Bein im Viertelfinal.
Eine unglaubliche Geschichte. Nicht nur, weil Atalanta denkbar schlecht in seine erste Saison überhaupt in der Königsklasse gestartet war: Die ersten drei Gruppenspiele haben die Norditaliener nämlich allesamt verloren – mit einem Torverhältnis von 2:11. Dank des Unentschiedens gegen Manchester City und den Siegen gegen Dinamo Zagreb und Shakhtar Donetsk reichte es dann aber doch noch für den Achtelfinal-Einzug.
Es ist noch nicht lange her, da galt Atalanta Bergamo als Abstiegskandidat. Umso erstaunlicher ist es, dass der kleine Klub nun für Furore sorgt. Die letztjährige Serie-A-Saison beendete Atalanta vor beiden Mailänder Klubs – und auch vor beiden Römer Vereinen – auf Platz 3. Der Höhenflug in der Königsklasse beweist, dass der Erfolg der letzten Saison kein Zufall war. Auch in der Liga mischt Atalanta wieder oben mit, ist aktuell im 4. Rang klassiert, der am Ende erneut zur Teilnahme an der Champions League berechtigen würde.
Hervorragende Arbeit im Scoutingbereich
Um den märchenhaften Aufstieg des einstigen Abstiegskandidaten zu verstehen, muss man zehn Jahre in die Vergangenheit reisen. Im Mai 2010 steigt der Traditionsklub nach vier Jahren Erstklassigkeit in die Serie B ab. Dann gelingt Atalanta der vielleicht wichtigste Transfer der Vereinsgeschichte: Gabriele Zamagna wird als neuer Sportdirektor vorgestellt. Zamagna krempelt die Mannschaft um und Atalanta feiert im darauffolgenden Jahr gleich den Wiederaufstieg.
Zig Jahre sind seither vergangen. Gabriele Zamagna ist aber auch heute noch der Sportdirektor bei Atalanta. Und auch seine Strategie hat sich nicht verändert: Spieler günstig verpflichten, sie ausbilden und anschliessend teuer verkaufen. Jüngstes Beispiel: Dejan Kulusevski. Der 19-jährige Stürmer kam 2016 für 165'000 Euro aus Schweden nach Bergamo, spielte drei Jahre im Atalanta-Nachwuchs, bevor der Klub ihn im letzten Sommer zu Parma verlieh. Im kommenden Sommer wird Kulusevski zu Juventus Turin wechseln – für 35 Millionen Euro.
Die Atalanta-Scouts zählen zu den besten in Europa. Das zeigte sich auch 2015, als der Klub 1,5 Millionen Euro in die Elfenbeinküste überwies und sich die Dienste eines gewissen Franck Kessie sicherte. Kessie wechselte dann vier Jahre später zur AC Milan und spülte 24 Millionen in die Kasse.
Dass in Bergamo auch im Nachwuchsbereich hervorragend gearbeitet wird, zeigen die Fälle von Alessandro Bastoni, Andrea Conti, Roberto Gagliardini und Mattia Caldara (Letzterer spielt aktuell auf Leihbasis wieder in der Lombardei). Sie alle wurden bei Atalanta ausgebildet und konnten in den vergangenen Jahren für insgesamt mehr als 85 Millionen Euro verkauft werden.
«No Names» werden zu Top-Stars
Und Atalanta weiss viel mit seinen Einnahmen anzufangen. Das Geld wird klug investiert. Nicht grosse, gestandene Stars werden verpflichtet, sondern Talente mit Entwicklungspotenzial. Remo Freuler etwa wechselte im Januar 2016 für weniger als zwei Millionen Euro von Luzern zu Atalanta, entwickelte sich da zum Stammspieler und wurde Nationalspieler. Heute hat der Schweizer, der am Mittwoch sein erstes Champions-League-Tor schoss, 20 Millionen wert.
Ex-FCZler Berat Djimsiti wechselte gleichzeitig wie Freuler nach Bergamo und war sogar ablösefrei. Auch der ehemalige Schweizer U-Nationalspieler, der nun für Albanien aufläuft, ist heute Stammspieler bei Atalanta. Erstaunlich ist auch der Werdegang von Robin Gosens: Der deutsche Linksverteidiger kam 2017 für 900'000 Euro aus Holland, ist heute 18 Millionen wert und wird von diversen Top-Klubs der Bundesliga gejagt. Gosens Abgang im Sommer ist wahrscheinlich – erneut darf Atalanta ein grosses Transferplus erwarten.
Dank dieser Transferstrategie kann sich Atalanta Jahr für Jahr auch etwas teurere Spieler leisten. In diesem Winter hat man den Kauf von Duvan Zapata perfekt gemacht. Atalanta zog die Kaufoption (12 Mio. Euro) für den zuvor ausgeliehenen Stürmer, der 2018 mit einer Monster-Leihgebühr (14 Millionen Euro für zwei Jahre) zum teuersten Leihspieler aller Zeiten wurde. Zunächst wurde Atalanta für den kuriosen Deal belächelt, heute ist klar, dass Gabriele Zamagna einmal mehr ein goldenes Händchen bewies: Zapata war in der letzten Saison zweitbester Torschütze der Serie A (23 Tore), traf sogar öfter als Juve-Superstar Cristiano Ronaldo. Heute ist Zapata mit 45 Millionen der wertvollste Spieler bei Atalanta Bergamo.
Nicht zuletzt ist Atalantas Erfolg auch Trainer Gian Piero Gasperini zu verdanken. 2016 wechselte der heute 62-Jährige von Genua nach Bergamo und coachte das Team gleich in der ersten Saison sensationell auf Platz 4 und damit in die Europa League. Nach Rang 7 im zweiten Gasperini-Jahr folgte in der letzten Saison der hervorragende 3. Platz, der die Atalanta-Fans nun vom ganz grossen Coup in der Champions League träumen lässt.
Der Titel in der Königsklasse? Das ist dann wohl doch ein wenig zu hoch gegriffen. Aber für Atalanta Bergamo scheint derzeit kaum etwas unmöglich.