Kommentar Zum Schreien komisch: Der stillose Abgang von Jürgen Klinsmann

Von Patrick Lämmle

11.2.2020

Zehn Spiele sind genug: Jürgen Klinsmann tritt als Hertha-Coach zurück.
Zehn Spiele sind genug: Jürgen Klinsmann tritt als Hertha-Coach zurück.
Bild: Keystone

Ende November wurde Jürgen Klinsmann überraschend als Coach von Hertha Berlin vorgestellt. Zehn Wochen später schmeisst er den Bettel hin. Der Verein erfährt es via Facebook. Wie stillos ist denn das?

Der deutsche Unternehmer Lars Windhorst hat sich im vergangenen Jahr mit rund 225 Millionen Euro bei Hertha Berlin eingekauft und so 49,9 Prozent der Anteile beim Hauptstadtverein erworben. Windhorst hat grosse Pläne mit Hertha, er will einen «Big City Club» etablieren, der national wie europäisch Aufsehen erregt. Anfang November holte Windhorst dann Jürgen Klinsmann ins Boot, er konnte ihn als einen der Aufsichtsräte für Hertha gewinnen. Ende November stand Klinsmann dann auch an der Seitenlinie, vorgesehen war das so nicht.

Doch Hertha Berlin hat den Saisonstart verschlafen, nach 12 Runden stand das Team mit nur elf Punkten auf Rang 15. Die Vereinsführung sah sich zum Handeln gezwungen. Klinsmann sollte und wollte den «schlafenden Riesen» wecken. Bis zur Winterpause führte er Hertha auf Rang 12. Nur eine Zwischenetappe, denn fortan sollte es nur noch in eine Richtung gehen, nach oben. «Diese Saison geht es um den Klassenerhalt. Die Zielvorgabe für das nächste Jahr ist Minimum Europa League», sagte der 55-Jährige im Winter-Trainingslager in Orlando. «Und hoffentlich werden wir dann eine Saison später noch weiter oben mitspielen.»

Aufbruchstimmung in Berlin?

Um die Ziele zu erreichen, durfte Klinsmann in der Winterpause an seinem Wunschkader basteln. Einige Spieler mussten über die Klinge springen, andere wurden nach Berlin gelotst. Für die Dienste von Krzysztof Piatek (AC Milan), Matheus Cunha (RB Leipzig) und Santiago Asacibar (VfB Stuttgart) investierte man 51 Millionen Euro. Zudem verpflichtete man für 25 Millionen Euro den von mehreren Topteams umworbenen Franzosen Lucas Tousart von Olympique Lyon. Der 22-Jährige wird allerdings erst ab der kommenden Saison das Hertha-Shirt tragen.

Nach den ersten Spielen der Rückrunde muss die Ernüchterung, auch bei Klinsmann, gross gewesen sein. Am vergangenen Wochenende setzte es eine 1:3-Heimpleite gegen Abstiegskandidat Mainz ab, vier Tage zuvor schied Hertha im Cup-Achtelfinal aus. In den ersten vier Spielen der Rückrunde hat Hertha lediglich vier Punkte geholt. Und nun tritt Klinsmann als Trainer zurück. So wirkt seine Kampfansage rückblickend wie der Vorsatz, im neuen Jahr öfters ins Fitness-Studio zu gehen, nur um es dann doch nicht durchzuziehen.

Unprofessioneller kann man nicht zurücktreten

Doch nicht (alleine) die Tatsache, dass er den Bettel hinschmeisst, ist irritierend. Viel mehr ist es die Art und Weise, wie er es tut. Der 55-Jährige verkündet seinen Rücktritt auf Facebook und beklagt sich über fehlendes Vertrauen der handelnden Personen. Unter diesen Umständen könne er sein Potenzial als Trainer nicht ausschöpfen. Die Vereinsführung hat er vor dem absetzen seines Facebook-Posts nicht informiert. Auf Klinsmanns Rücktritt angesprochen, konnte nämlich zunächst niemand Stellung beziehen. Man habe keine Kenntnis davon. Unprofessioneller und stilloser hätte Klinsmann nicht zurücktreten können.

Seine Zeit bei Hertha soll aber noch nicht vorbei sein, denn «der Klub und die Stadt sind mir noch stärker ans Herz gewachsen», schreibt Klinsmann. Er werde sich nun wieder auf seine «ursprüngliche langfristig angelegte Aufgabe als Aufsichtsratsmitglied zurückziehen». Auch dieser Satz könnte sich nachträglich als Illusion erweisen. Es ist nur schwer vorstellbar, dass Hertha nach diesem Affront die Zusammenarbeit mit Klinsmann fortführen wird.

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