Max Eberl im InterviwMax Eberl: «Der Schweizer Markt ist zwar teurer geworden, aber er bleibt interessant»
SDA
31.8.2018 - 13:30
Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht der erfolgreiche Mönchengladbach-Manager Max Eberl über hohe Erwartungen, Geld und die grosse Schweizer Fraktion in seinem Verein.
60'000 Fans beim Familientag auf dem Borussia-Gelände, über 50'000 im Schnitt seit Jahren bei den Spielen. Generiert Ihr Klub inzwischen das öffentliche Interesse einer etablierten Bundesliga-Grösse?
Max Eberl: Gladbach hat immer zu den Etablierten gehört, was die Fanlandschaft betrifft. Der Verein ist landesweit als sympathischer Underdog beliebt – das geht bis in die Siebziger zurück. Ich würde behaupten, wir sind überall gern gesehene Gäste.
Im Umfeld der Borussia ist sehr viel in Bewegung. Auf dem Areal des Vereins wird gebaut. Sie selber sagten unlängst, die Investitionen in Stein seien nötig, um eine gute Zukunft zu ermöglichen.
Der Klub hat mit dem Entscheid, 2000 den Neubau des Stadions zu beschliessen, einen wichtigen Schritt gemacht. Natürlich bringen einen nicht die Steine nach Europa, sondern nach wie vor die Spieler, aber sie geben eben ein Umfeld, um interessante Profis zu bekommen und einen guten Job machen zu können. Sie ermöglichten die jüngsten Erfolge mit der viermaligen Europacup-Teilnahme, mit dem Vorstoss in die Champions League, aber auch mit den extrem hohen Transfererlösen, die wir tätigten.
Wer profitiert von der üppigen Ertragslage?
Ein kleines Beispiel dazu: Wenn wir Spieler wie Reus oder Ter Stegen verkaufen, fliesst immer etwas davon in die Nachwuchsabteilung. Das Jugendheim ist ein Stück weit Marc-André ter Stegen, und im Trainingsstadion steckt etwas von Marco Reus. So funktioniert unsere Philosophie – wir wollen alle an den Erfolgen beteiligen, nicht nur in monetärer Form. Am Ende ist es der Auftrag von Stephan Schippers (Geschäftsführer), mir und des gesamten Präsidiums, dass Gladbach in zehn oder bestenfalls auch in zwanzig Jahren noch konkurrenzfähig ist.
Könnten Sie nicht noch mehr ins Personal investieren?
Die Frage stellt sich immer, ob es nicht sinnvoll wäre, die Millionen, die in unserem Neubau stecken, in einen Spieler zu investieren. Aber es sollte nicht von einem Akteur abhängen, ob wir sportlich erfolgreich sind. Eine gute wirtschaftliche Grundlage gewichte ich für die Organisation höher.
Sie legten im Umsatzbereich Rekordergebnisse vor in den letzten beiden Jahren. Wie verkraftet Sie das? Die Borussia ist im Zahlenranking die Nummer 6. Werden da Erwartungen geschürt, die auf Dauer schwierig zu erfüllen sind?
Wir haben eine schwarze Null bei der aktuellen Transferbilanz, aber das Niveau der Ausgaben und Einnahmen hat sich markant verändert. Natürlich merken wir, dass mit dem Wachstum die Ansprüche kommen und automatischer werden. Damit müssen wir objektiv umgehen und sollten dabei die Konkurrenz im Auge behalten – Dortmund setzt 500, Bayern sieben- bis achthundert Millionen um. Die Differenz zu diesen Konkurrenten ist deutlicher als früher.
Die Zuschauer goutieren Stillstand nicht. Sie ärgerten sich in der letzten Saison über Pfiffe und Beschwerden des unzufriedenen Publikums. Wie nehmen Sie diese veränderten Erwartungen wahr?
Es ist legitim, Ansprüche zu formulieren. Es wird nur dann problematisch, wenn diese Ansprüche zur Selbstverständlichkeit werden. Nach dem Motto: Logisch kommen wir unter die ersten sechs. Nein, so ist es nicht. Wir machten in den letzten Jahren einen grossartigen Job, wir näherten uns den grossen Sieben. Wir können berechtigt die Hoffnung hegen, dabei zu sein, aber automatisch passiert das sicher nicht. Es rumorte, weil ich relativ klar sagte, dass Spitzenergebnisse nicht absolut zu erwarten sind – im Sport generell gibt es diese Selbstverständlichkeit nicht, schon gar nicht in der Bundesliga.
Mit dem Comeback auf europäischer Ebene setzte die Borussia neue Gladbacher Massstäbe.
Nur, weil wir viermal in Europa waren, heisst das nicht, dass wir so etwas in den nächsten Jahren wieder viermal so hinbekommen. Mit dieser Situation müssen wir umgehen. Versuchen, realistisch zu bleiben und trotzdem ambitioniert zu sein. Rückschläge können uns passieren, ein Out im Cup kommt vor. Aber die generelle Richtung muss stimmen, das ist entscheidend.
Sie setzen wie keine andere Organisation seit Jahren auf Schweizer, inzwischen stehen fünf WM-Achtelfinalisten der SFV-Auswahl bei Ihnen auf der Lohnliste. Woher kommt diese Präferenz für den Schweizer Markt?
Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht. Jörg Stiel lernte ich noch als Mitspieler kennen. Dann kamen Lucien Favre, Granit Xhaka, Yann Sommer, später Nico Elvedi und weitere. Vor Kurzem engagierten wir Michael Lang. Der Schweizer Markt ist zwar teurer geworden, aber er bleibt für uns weiterhin interessant. Die Spieler werden sehr gut geschult, und von der Trainerausbildung können die Deutschen sogar eine richtig grosse Scheibe abschneiden. Seit Jahren macht die Schweiz in diesen Bereichen fantastische Arbeit, entsprechend hochstehend ist der Output. Und wenn ich ziemlich viel Geld ausgebe für einen Akteur, dann möchte ich auch, dass er relativ schnell eine wichtige Position einnehmen kann.
Yann Sommer machte an der WM einen weiteren Schritt. Er spielte sich in den internationalen Fokus. Welchen Stellenwert besitzt er bei der Borussia? Wie sehen Sie seine Rolle und Entwicklung?
Yann ist eine herausragende, integre, ehrgeizige Persönlichkeit und einer der Wortführer in der Kabine. Deshalb machte ihn der Coach ja auch zum Vize-Captain, darum brauchen wir ihn als wichtige Führungskraft innerhalb der Mannschaft. Der 'Kicker' wählte Yann nicht umsonst zum besten Torhüter der Rückrunde. Für mich passt seine wunderbare Entwicklung eben auch ins Bild der Schweizer Profis – aufgrund ihrer sprachlichen und kulturellen Begebenheiten können sie solche Rollen einnehmen.
Ein Verkauf steht unter diesen Umständen kaum zur Debatte? Oder anders gefragt: Ein Interessent müsste finanziell wohl die Schmerzgrenze touchieren?
In dieser Personalie ist die Schmerzgrenze noch höher, weil wir nicht nur einen guten Sportler verlieren würden, sondern auch eine Persönlichkeit, eine Identifikationsfigur auf dem Platz – so war es bereits bei Granit Xhaka. Dieser Aspekt würde uns sehr wehtun. Es hätte verdammt geschmerzt, hätte ein Grosser eine Offerte vorgelegt. Andererseits ist zu sagen, dass wir mit Gladbach einen Weg gehen, der immer wieder Transfererlöse einbringen soll. Und wenn exorbitante Summen im Raum stünden, könnte ich ein Nein nie kategorisch ausschliessen. Rechnen müssen wir immer.
Apropos Finanzen – die Premier League flutet den Markt weiterhin mit Geld. Die Bundesliga will sich ebenfalls positionieren und tourt immer häufiger durch Asien oder Nordamerika. Wie schätzen Sie das wirtschaftliche Standing der Liga ein?
Die Frage ist: Wo wollen wir denn hin? Wollen wir England Paroli bieten? Das wird uns im Kampf um die Topstars nie gelingen, weil die ganz grossen Namen am Ende immer auf die Insel wechseln. Oder wollen wir in Deutschland eine eigene Identität schaffen? Natürlich brauchen wir Stars wie Lewandowski oder James Rodriguez in der Liga; klar ist es gut, wenn einer wie Witsel nach Deutschland wechselt, oder sich ein junger Hoffnungsträger wie Goretzka gegen das Ausland entscheidet – wir haben schon Topstars, die kommen oder bleiben.
Gibt es denn weitere Ansätze, die Ihnen Zuversicht geben, europäisch den Anschluss nicht zu verlieren?
Eine grosse Abgrenzung zum englischen Markt sind die Spieler, die wir entwickeln. Wir bildeten Reus aus, Xhaka, Zakaria, Dortmund Dembélé, Aubameyang. Kurzum: Wir entwickeln Spieler, die für viel Geld gekauft worden sind, aber eigentlich erst in Deutschland zum Topstar wurden. Man könnte die Liste erweitern, fast jeder Bundesligist bringt Profis heraus, die bei grossen europäischen Klubs Karriere machen.
Die Bundesliga als attraktive und gut dotierte Zwischenetappe?
Vielleicht ist das eben ein Weg, den wir im Auge behalten müssen. Wir können nicht mit Transfersummen von 150 Millionen konkurrieren – wie Uli Hoeness es ja formulierte: Die Bayern stemmten den Betrag vielleicht, wollen aber nicht mitbieten, weil sie den Wert in dieser Grössenordnung nicht sehen. Es ist auch eine ehrenwerte Entscheidung, nicht 40 bis 50 Millionen Euro Gehalt zu bezahlen.
Aber Finanzkraft ist nötig, um als Liga im Gespräch zu bleiben.
Natürlich wollen wir internationale Stars holen und halten, klar wollen wir nicht nur Bayern als Meister. Aber trotzdem müssen wir bei der Suche einen eigenen Weg finden. Und im Unterschied zu England und anderen Ländern stimmen die Haushalte der deutschen Bundesliga-Klubs. Wir geben aus, was wir eingenommen haben – wir leben nicht auf Pump. Das Business soll trotz allem ehrlich und nachvollziehbar sein.
Auf was spielen Sie an?
Wir reden immer noch von Sport. Die Leute sollen verstehen, was abseits des Rasens passiert. Wenn Gladbach für einen 34-Jährigen 150 Millionen Euro überweisen und 20 Millionen Lohn zahlen würde, wäre die Meinung gemacht: Ihr seid wahnsinnig! Ich könnte nicht mehr schlafen, wenn wir unser Kader mit Krediten finanzieren müssten.