Was als Fan-Projekt seinen Anfang nahm, ist heute eine auch für die Macher der Fussball-Branche interessante Hilfe im Transfergeschäft. Die Plattform transfermarkt.de wird gerade in diesen Tagen millionenfach aufgerufen.
Das grosse Feilschen im Transfer-Endspurt wird auch von einem Hamburger Hinterhof aus mitbestimmt. So manche Manager, Trainer, Fussballprofis und Spielerberater checken im Poker um Ablösen und neue Verträge gerade in diesen Tagen wieder häufig das Portal transfermarkt.de, das vor knapp 20 Jahren als Projekt engagierter Fans begann. Nicht jedem aber gefällt, was er dort sieht: Cristiano Ronaldo soll unlängst die Transfer-Plattform bei Instagram blockiert haben, weil der Portugiese angeblich mit seinem Marktwert nicht einverstanden war.
Nicht wenige Funktionäre indes sehen die Webseite als hilfreiche Informationsquelle. Torquoten, Leistungsdaten, Verletzungshistorie und eben vor allem der aktuell geschätzte Marktwert liefern den Machern der Branche einen Überblick über potenzielle Neuzugänge. Die aktuelle Transferperiode endet am Montag.
«Ich informiere mich regelmässig dort», sagt Sportdirektor Gerhard Zuber vom Zweitligisten Hannover 96. Auch Geschäftsführer Michael Voigt vom Liga-Rivalen FC Erzgebirge Aue, gibt an, hin und wieder auf die Seite zu schauen. Beim Bundesligisten 1. FC Köln nutzt man die Seite, «um grundlegende Dinge, wie die Stationen eines Spielers und Leistungsdaten auf den ersten Blick nachzuvollziehen», sagt Sprecherin Lil Zercher. Und wenn Holstein Kiel neue Spieler angeboten werden, «beinhalten diese Nachrichten oftmals einen Link des jeweiligen Spielers auf transfermarkt.de», berichtet Geschäftsführer Sport Uwe Stöver.
Ursprünglich eine Plattform für Gleichgesinnte
Der erfahrene Fussball-Manager Helmut Schulte bezeichnete die Wertermittlung des Portals für Fussballprofis vor einigen Jahren noch als «mittelseriöse Spielerei» und meinte: «Wer die Marktwerte zu 100 Prozent ernst nimmt, dem kann ich dann aber nicht helfen.»
Die Idee für die Seite hatte Matthias Seidel vor fast 20 Jahren. Damals wollte der Werder-Bremen-Fan im Internet Gleichgesinnte finden. Doch Fussball-Portale gab es damals kaum. Kurzerhand bastelte er sich selbst eine Seite.
Der Erfolg des Portals ist messbar. Allein im September wurde die Webseite und die dazugehörige App laut eigenen Informationen in Deutschland täglich etwa 13 Millionen Mal aufgerufen – international sogar bis zu 32 Millionen Mal am Tag. Bei Instagram, Facebook und Twitter hat das Portal nach eigenen Angaben über fünf Millionen Follower aus aller Welt. In der Datenbank sind unter anderen etwa 760'000 Spielerprofile, rund 75'000 Vereine, 80'000 Trainer, 41'0000 Schiedsrichter, 12'000 Berater und über 1500 Wettbewerbe gelistet.
Die interessanteste Zahl, der Marktwert eines Spielers, wird auf Basis einer Expertendiskussion errechnet. Dabei helfen Schätzungen von Nutzern sowie ein Vergleichsverfahren, bei dem die Werte aller Spieler einer Position in einer Liga abgewogen würden, wie Gründer Seidel erklärt.
Im Zuge der Krise deutlich weniger Top-Transfers
Dabei spiegeln die Werte auf transfermarkt.de die Entwicklung bei den Ablösesummen und die Trends wider. «Mittlerweile ist jeder halbwegs grosse Club beim Scouting international aufgestellt und vernetzt», erklärt Transfermarkt-Chefredakteur Alexander Binder. Daher seien heutzutage automatisch mehrere Vereine an einem talentierten Spieler dran. «Das treibt den Preis», sagt Binder. Gerade für Jüngere werde der Markt so immer grösser.
Allerdings habe Corona alles auf den Kopf gestellt, sagt Binder. «Es gibt deutlich weniger Wechsel von teuren Spielern, die 20 Millionen Euro oder mehr kosten.» Erst rund 45 dieser Wechsel habe es vor Ende des Transferfensters in diesem Jahr gegeben – im vergangenen Sommer seien es 92 gewesen. Es herrsche allgemeine Vorsicht.
Auch transfermarkt.de habe unter Corona gelitten, sagt Seidel. Schliesslich finanziere sich die Seite über Werbeeinnahmen. Allerdings habe die Plattform keinen seiner mehr als 20 Mitarbeiter entlassen müssen. Am Portal ist auch die Axel Springer SE seit 2008 mit 51 Prozent beteiligt.
Auf die Narrenfreiheit aus der Anfangszeit muss Seidel heute verzichten. 2004 hatte er aus Protest gegen den Transfer von Ailton von seinem Herzensclub Werder zum FC Schalke 04 die Königsblauen von seinem Portal gestrichen. «Da hatte die Bundesliga kurzfristig nur noch 17 Vereine», erzählt Seidel mit einem Grinsen. «Noch mal würde ich das aber nicht machen.»