Der FC Barcelona kommt zu Hause gegen den FC Granada nur zu einem 1:1-Remis. Der Auftritt des Teams gibt vielen Experten zu denken. Der Klub hat schlicht den Anschluss an die weltbesten Teams verloren. Eine Analyse.
Nach der bitteren 0:3-Pleite in der Champions League gegen Bayern München meinte Gerard Piqué nur kryptisch: «Wir sind, was wir sind.» Nach dem mageren 1:1-Remis im Heimspiel gegen Granada bedeutet das Platz 7 in der Meisterschaft. Fünf der letzten acht Ligaspiele konnte man nicht gewinnen – so viele wie in den letzten 24 Begegnungen davor unter Coach Ronald Koeman. Fast schlimmer als der Tabellenstand ist die Art und Weise, wie man sich zu Hause im Nou Camp präsentierte.
Die inferioren Granada-Profis haben den Katalanen den Ball einfach zugespielt, spottete «Sport»: «Wohlwissend, dass die Barcelona-Spieler nicht wussten, was sie damit anfangen sollten.»
Gegen die noch sieglosen Andalusier schlug man insgesamt 54 (!) Flanken – nur einmal in den letzten 16 Jahren haben sie es noch mehr mit hohen Bällen versucht.
Verteidiger als Mittelstürmer
Nach 85 Sekunden lagen die Gäste bereits in Front. Danach rannten die Barça-Spieler kopf- und ideenlos gegen die massierte Gäste-Defensive an. In der letzten Viertelstunde vor Ende der regulären Spielzeit befanden sich die beiden Verteidiger Gerard Piqué und Ronald Araujo neben Angreifer Luuk de Jong stets im Strafraum, um als Abnehmer für die hohen Bälle zu fungieren. Immerhin erzielte Araujo in der Schlussminute noch den Ausgleich.
Koeman musste an der Pressekonferenz danach den blutleeren Auftritt seines Teams erklären. Der 58-Jährige meinte, dass die Erwartungshaltung nun eine andere sein sollte. «Dieses Barcelona-Team ist nicht mehr das von vor acht Jahren», so sein nüchternes Fazit.
«Schauen Sie sich unsere Kaderliste an», führte der bärbeissige frühere Weltklasse-Verteidiger aus, als er auf Barcelonas Aufstellung und Stil angesprochen wurde. «Wir haben getan, was wir konnten. Wir haben nicht die Spieler aus den Tiki-Taka-Tagen. Wir haben versucht, auf eine andere Weise zu gewinnen».
Viele Spieler ausser Form
Das Grundsystem sei in der ersten Halbzeit ein 4-3-3 gewesen, danach habe er Änderungen vorgenommen aufgrund dessen, was er auf der Bank gehabt habe, verteidigte sich Koeman. Derzeit muss Barça immer noch ohne Ansu Fati, Ousmane Dembele oder Sergio Aguero auskommen.
Doch auch mit ihrer Rückkehr scheint es derzeit schwer vorstellbar, dass sie das Zeug haben, um mit Atlético Madrid und Real Madrid im Titelrennen mithalten zu können. Zu viele Spieler sind ausser Form oder genügen aktuell den Anforderungen nicht: Philippe Coutinho zeigt keine Anzeichen dafür, dass er wieder die Form früherer Tage erreicht. Nach den starken Vorstellungen bei der EM fällt Captain Sergio Busquets wieder mit seiner lethargischen Spielweise auf.
Im Negativ-Strudel haben auch die Leistungen von Frenkie de Jong gelitten. Sergi Roberto ist ebenfalls ausser Form. Der letztjährige Shooting-Star Riqui Puig ist noch überhaupt kein Faktor. Der kurz vor Transferschluss verpflichtete Luuk de Jong ist ein Totalausfall. Nur Memphis Depay lässt in der Offensive seine Klasse ab und an aufblitzen, doch alleine kann er die Lücke nicht stopfen, welche Lionel Messi – und teils auch Antoine Griezmann – hinterlassen haben.
Muss Koeman gehen?
Die Jugend-Fraktion um Balde, Gavi oder Demir ist zwar emsig bemüht, aber logischerweise können sie das Team in der aktuell schwierigen Phase nicht stützen. Diese Bausteine führen zu einer gefährlichen Schieflage im fragilen Barça-Gebilde.
Aufgrund der hohen Verbindlichkeiten – den Klub plagen Schulden in Höhe von 1,2 Milliarden Euro – wird es zu einer Herkulesaufgabe, dem Team in naher Zukunft ein neues Gesicht zu geben. Vielleicht lassen deshalb Koeman die Entlassungsgerüchte um seine Person – die Vereinsspitze soll bereits mit mehreren Kandidaten Gespräche geführt haben – kalt.
Zumindest finanziell könnte sich Barça seinen Abgang gar nicht leisten. 12 Millionen Euro muss der klamme Klub ihm zahlen, wenn man auf seine Dienste verzichten will. Was mal ein Trinkgeld für Barça war, ist nun plötzlich eine Summe, mit der man sich solche Personalentscheidungen doppelt überlegen muss. Vielleicht gar nicht das Dümmste.