Kollision am Start, Schimpftiraden am Funk: Warum es zwischen WM-Spitzenreiter Oscar Piastri und Lando Norris knirscht und McLaren in der Formel 1 vor einer Zerreissprobe steht.
Das Rennen um den ersten Formel-1-Fahrertitel seit 17 Jahren wird für Team-Weltmeister McLaren immer mehr zum Drahtseilakt. Schon vor der gedämpften Party in Singapur zum erneuten Triumph bei den Konstrukteuren verordnete Teamchef Andrea Stella seinen nach der Startkollision erhitzten Piloten Oscar Piastri und Lando Norris eine Gesprächstherapie. «Wir werden sehen, ob wir etwas lernen und nachschärfen können. Das werden gute Gespräche», sagte Stella.
Doch die Stimmung ist sechs Rennen vor Saisonende schwer gereizt. Ein Video zeigte WM-Spitzenreiter Piastri, der noch während der Dankesrede von Team-Boss Zak Brown den Funk abstellte und aus dem Auto ausstieg. McLaren teilte eilig mit, der Australier habe seinen Wagen schon vorher ausgemacht und Browns Worte daher nicht gehört. Aber da hatten die Debatten um die gestörte Team-Harmonie längst Fahrt aufgenommen.
«Die Hauptsache ist, dass die beiden Autos zusammengestossen sind. Das wollen wir niemals, also müssen wir uns das im Detail anschauen», mahnte Piastri. Die Szene des Anstosses hatte sich kurz nach dem Start ereignet, als Norris bei einem harten Überholversuch zunächst den Red Bull von Weltmeister Max Verstappen touchierte und dann Piastris Auto berührte.
Schimpftiraden am Funk
«Jeder im Fahrerfeld hätte es genauso gemacht», entgegnete Norris trotzig den bohrenden Fragen danach und fügte hinzu: «Also wer mir da vorwirft, das Auto in eine grosse Lücke gebracht zu haben, der sollte nicht in der Formel 1 sein.» Piastri sah es anders und hatte dies schon während des Rennens mit Schimpftiraden am Funk deutlich gemacht. «Es ist einfach nicht fair», liess der 24-Jährige den Kommandostand wissen.
Norris aber musste Platz drei nicht an Piastri zurückgeben und kam seinem am Ende viertplatzierten Stallrivalen in der Gesamtwertung so wieder um drei Punkte auf nun 22 Zähler näher. Dass Titelverteidiger Verstappen nach den zwei Siegen in Monza und Baku als Zweiter in Singapur wieder vor beiden McLaren landete, heizt das Titelrennen weiter an.
Die Diskussion um den Startvorfall trifft den Rennstall an einem heiklen Punkt, seinen nach der Teamfarbe benannten «Papaya-Regeln». Die Fahrer sollen demnach so lange frei um Siege kämpfen dürfen, wie sie sich nicht unfair in die Quere kommen.
Zweimal schon griff die McLaren-Führung in diesem Jahr ein, jeweils zugunsten von Norris. In Ungarn kam er dank einer veränderten Boxenstrategie noch an Piastri vorbei und gewann. In Monza musste Piastri seinen Kollegen wieder passieren lassen, nachdem die Boxencrew den Reifenwechsel von Norris verbockt hatte. Dass Norris nun in Singapur nicht zurückgepfiffen wurde, belastet offenkundig Piastris Vertrauen in die interne Gleichbehandlung.
Diese Belastungen dürften das Gerücht, dass Piastri mit anderen Teams Gespräche führen soll – unter anderem mit Ferrari – nur befeuern. Der Australier besitzt bei McLaren allerdings noch einen mehrjährigen Vertrag.
Formkrise belastet McLaren
«Oscar zeigt doch mehr Nerven, er ist dünnhäutiger», stellte Sky-Experte Ralf Schumacher fest. Mercedes-Teamchef Toto Wolff lobte zwar die McLaren-Führung für den bisherigen Umgang mit dem Fahrerduell, konstatierte aber auch: «Es wird zu einer Situation kommen, in der es auf wenige Punkte ankommen wird. Und dann fängt man an zu rechnen und zurückzurechnen, und ich vermute, dass dann die Ellbogen etwas mehr zum Einsatz kommen werden, und dann wird es interessant.»
Ausgerechnet jetzt kämpft McLaren auch noch mit einer Formkrise. Seit drei Rennen gab es keinen Sieg, die Konkurrenz hat aufgeschlossen. Mit Blick auf die grosse Regelreform im nächsten Jahr hat McLaren die Entwicklungsarbeit am aktuellen Auto nahezu eingestellt, andere wie Red Bull brachten noch neue Bauteile mit nach Singapur. Zudem darf McLaren als Team-Champion gemäss den Regeln die wenigste Zeit im Windtunnel einsetzen.
Die letzten Saisonwochen könnten für den Branchenführer daher zum ultimativen Test für die «Papaya-Regeln» werden. «Wir müssen sehr genau sein, weil viel auf dem Spiel steht. Nicht nur WM-Punkte, sondern das Vertrauen unserer Fahrer in die Art, wie wir als Team arbeiten. Und das ist grundlegender als die Punkte», betonte Teamchef Stella.
Alonso nervt sich über Hamilton
Bei der Zieleinfahrt in Singapur liess der zweifache Weltmeister Fernando Alonso über den Funk seinem Frust freien Lauf: «Ich kann es verdammt nochmal nicht glauben», wiederholt der 44-Jährige mehrmals.
Die Schimpftirade ist ausgerechnet seinem ewigen Rivalen Lewis Hamilton gerichtet. Der Brite hatte in den letzten Runden mit den Bremsen zu kämpfen und liess Alonso mit unfairen Mitteln – er fuhr bei der Schikane durch – gerade noch hinter sich.
Der Spanier fragte am Funk, ob es legal sei, mit defekten Bremsen zu fahren. Die Antwort lieferte gleich die Rennleitung nach dem Rennen und brummte Hamilton wegen dem Verlassen der Strecke eine Fünf-Sekunde-Strafe auf. Alonso erbte den siebten Rang und der Brite musste sich mit Platz acht begnügen.
Hamilton reagierte spöttisch auf den Ausraster seines ehemaligen McLaren-Teamkollegen. Der siebenfache Weltmeister publizierte auf seinem Instagram-Profil eine Story mit einem Zusammenschnitt der britischen «Sitcom One Foot in the Grave», in dem die Hauptfigur Victor Meldrew den Spruch «ich glaube es nicht» mehrmals wiederholt. Mit der Überschrift «Seit 18 Jahren ...» bezeugt der 40-Jährige die lange Rivalität der beiden.
TV-Regie zieht Unmut der Fans auf sich
Von dem Duell zwischen Alonso und Hamilton bekamen die Zuschauenden am Fernseher nichts mit. Die Regie konzentrierte sich lieber auf das Duell um Rang drei zwischen Verstappen und Norris. Als die beiden ins Ziel fuhren, wurden Fans auf den Tribünen gezeigt.
Das sorgte in den sozialen Medien für Kritik. «Die TV-Regie priorisiert die Fans auf den Tribünen, als das Duell mit Hamilton, der Alonso ohne Bremsen hinter sich zu lassen versuchte», schreibt ein User auf X.
Viele weitere User ärgerten sich darüber, dass während dem Rennen mehrmals die Partnerinnen der Fahrer statt das Geschehen auf der Strecke gezeigt wurden. So bekamen die Zuschauenden die Aufholjagd von Williams-Pilot Carlos Sainz von Startplatz 18 auf Schlussrang 10 kaum zu sehen.