Vor 15 Jahren endet der Grand Prix der USA in Indianapolis im Desaster. Ein Reifen lässt den Sport zur Nebensache verkommen.
Nach der Installationsrunde hatte die Farce auf dem Indianapolis Motor Speedway an jenem Sonntag im Juni 2005 ihren Höhepunkt erreicht. Sechs Fahrer, je zwei von Ferrari, Jordan und Minardi, verblieben für den Grand Prix der USA in der Startaufstellung. Der Rest kehrte nach dem einen Umgang in die Boxen zurück. Die Fahrer von Sauber, McLaren, Renault, BMW-Williams, BAR, Toyota und Red Bull handelten auf Geheiss des Reifenlieferanten Michelin. Die Franzosen hatten ihren Kunden im Gegensatz zu Konkurrent Bridgestone, dem Partner von Ferrari, Jordan und Minardi, Walzen zur Verfügung gestellt, die den Belastungen über eine Renndistanz nicht standgehalten hätten.
Das auf ein Sextett geschrumpfte Teilnehmerfeld stand am Ende eines Wochenendes, in dessen Verlauf der Sport immer mehr zur Nebensache verkam, an dem mehr debattiert und verhandelt als gefahren wurde und das Geschehen abseits der Rennstrecke ins Zentrum rückte. Auslöser der skurrilen Szenerie waren Unfälle von Ralf Schumacher und Ersatzmann Ricardo Zonta in den Toyota im freien Training am Freitag. Dem Deutschen und dem Brasilianer war der beschädigte linke Hinterreifen zum Verhängnis geworden. Vorab das Malheur von Schumacher, der in der erhöhten Kurve vor Start und Ziel mit Tempo 300 in der Mauer eingeschlagen war, heizte die Diskussionen zum Thema Sicherheit an.
Zwei Toyota-Fahrer mit Unfällen aus identischem Grund – das konnte kein Zufall sein. Die Techniker von Michelin gingen der Ursache auf den Grund und kamen zum Schluss, dass die in der Steilkurve wirkenden Kräfte für die zur Verfügung gestellten Reifen zu hoch waren. Materialkontrollen bei den weiteren Kundenteams bestätigten die Vermutung, dass die Mängel nicht ein spezifisches Problem von Toyota waren.
Das Veto der FIA
Lösungen mussten her, um den Grand Prix zu retten und die Schmach abzuwenden. Vorschläge, um dem Übel Herr zu werden, lagen auf dem Tisch, die Umsetzung scheiterte aber am Veto der Führung des Internationalen Automobil-Verbandes FIA. Die Oberen der FIA stellten sich beim Ansinnen quer, neue Reifen mit veränderter Konfiguration aus dem Werk in Clermont-Ferrand einfliegen zu lassen. In ihrer Begründung verwiesen sie auf das Reglement, das den Reifenwechsel zwischen Qualifying und Rennen nicht erlaubt. Verworfen wurde auch die Idee, vor der Steilkurve zwecks Geschwindigkeitsreduktion eine Schikane einzubauen.
Es kam das Rennen und mit ihm der Tag, an dem sich die Formel 1 bis auf die Knochen blamierte. Der Tag, an dem die wichtigste Rennserie ein weiteres Mal ihren Ruf bestätigte, ein Hort von machtbesessenen Parteien zu sein, denen es wichtiger war, ihre Position zu bekräftigen, als im Sinne des Sports über den eigenen Schatten zu springen. Ihre Sturheit liess keine Kompromisslösung zu. Sicherlich trug Reifenhersteller Michelin die Hauptschuld am Desaster und handelten die FIA-Oberen mit dem Festhalten an den reglementarischen Vorgaben nach Treu und Glauben. Mit ein bisschen Fingerspitzengefühl, mit einer den besonderen Umständen geschuldeten Anpassung wäre eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung möglich gewesen.
«Goodbye, Formel 1»
So aber war der Skandal nicht mehr abzuwenden. Ausgerechnet in den USA, in dem Land, in dem sie während Jahrzehnten vergeblich um Anerkennung gekämpft hatte, stellte sich die Formel 1 im Höchstmass bloss. Das mediale Echo war entsprechend. Von der Formel Null war zu lesen, von der Formel Chaos oder von der Formel 1, die ihre Glaubwürdigkeit verloren hat. Andere Blätter gingen noch weiter und sahen das endgültige Ende der Formel 1 in den Vereinigten Staaten gekommen. Goodbye, Formel 1! Auf Nimmerwiedersehen, Bernie Ecclestone! Au revoir, Michelin!
Das prognostizierte Aus in Indianapolis kam tatsächlich, allerdings erst nach zwei weiteren Grands Prix. Danach herrschte fünf Jahre Funkstille bis zur Wiederkehr. In Austin in Texas scheint die Formel 1 endlich so etwas wie Heimat gefunden zu haben.
Der Flop von Indianapolis zog nicht nur bissige Kommentare, sondern auch ein von der FIA-Spitze inszeniertes gerichtliches Nachspiel mit sich. Am Pranger standen neben dem Michelin-Konzern auch dessen Partnerteams. «Es kann nicht jedes Mal verhandelt werden, wenn ein Teilnehmer die falsche Ausrüstung mitbringt.» Und: «Mit ihrer Weigerung, zum Rennen nicht anzutreten, haben die Teams sich selber und dem Sport geschadet», wurde aus der Zentrale des Weltverbandes in Paris übermittelt.
Der Weltrat der FIA bot die Vertreter der sieben Rennställe schon eine gute Woche nach dem skandalösen Rennen zu einer Anhörung auf. Im Raum stand danach unter anderem eine Klage wegen Unterlassung. Die Teams wurden für schuldig befunden, «unrechtmässig den Start zum Rennen abgelehnt zu haben». Weitere drei Wochen später war aber eine mögliche Bestrafung vom Tisch. Die oberste Instanz des Verbandes sah von einem Schuldspruch ab.
Auch ohne Sanktion liess das Wochenende in Indianapolis nur Verlierer zurück. Selbst Michael Schumacher fühlte sich nicht als Sieger. Der Rekordweltmeister hatte den Grand Prix gewonnen. Ein Rennen, das eigentlich keines war.