Volleyball Nati-Captain Giger ist «zuständig, dass andere gut aussehen»

dom, sda

30.8.2023 - 05:01

Reto Giger (6) ist dafür zuständig, die Mitspieler in Szene zu setzen
Reto Giger (6) ist dafür zuständig, die Mitspieler in Szene zu setzen
Keystone

Als Passeur ist Reto Giger der Denker und Lenker im Volleyball-Nationalteam. Diese Woche betritt der 32-Jährige mit der Schweiz an der EM in Italien Neuland.

Keystone-SDA, dom, sda

Es ist Mitte August, Reto Giger sitzt entspannt in der Loge der Volleyball-Arena in Schönenwerd, dem nationalen Trainingsstützpunkt von Swiss Volley und der Heimstätte seines Stammvereins Volley Schönenwerd. Die Halle ist fast leer, im Gegensatz zu vor vier Monaten, als Giger nach einem dramatischen Playoff-Final gegen den Titelverteidiger Amriswil den Meisterpokal unter dem grossen Jubel der rund 1500 anwesenden Zuschauern in die Höhe stemmen konnte. Die Erinnerungen daran sind noch frisch: «Die Erlösung war riesig», sagt Giger und atmet tief durch.

Endlich ist es ihm und seinem Stammklub gelungen, den Ruf des ewigen Zweiten abzulegen. Einen Playoff-Final und drei Cupfinals hatten die Schönenwerder davor verloren. Giger selbst musste für seinen ersten Titelgewinn sogar noch mehr leiden. Insgesamt zwölf Mal stand er in einem Final, ohne dabei ein einziges Mal zu reüssieren.

Nicht selten waren er oder wichtige Mitspieler verletzt. Auch diesmal lag er mit «Schöni» in der Finalserie 0:2 hinten, ehe sich das Blatt doch noch zum Guten wendete. «In diesem Jahr hat alles gepasst. Wir haben im richtigen Moment den Rank gefunden und haben performt. Es war für den ganzen Verein eine riesige Erlösung gewesen. Für all die Leute, die tagtäglich viel investieren, damit wir den Titel holen können.»

Dirigent im Angriffsspiel

Als Passeur und Captain war Reto Giger eine wichtige Stütze bei Schönenwerds historischem Titelgewinn. Die gleiche Rolle bekleidet der Aargauer auch im Nationalteam. Mit diesem qualifizierte er sich vor etwas mehr als einem Jahr zum ersten Mal auf sportlichem Weg für eine EM-Endrunde.

Mit 32 Jahren ist Giger der älteste und erfahrenste Spieler im Schweizer EM-Kader, auf der Position des Zuspielers ist er der Denker und Lenker im Schweizer Spiel. Er verteilt die Bälle und versucht, die Angreifer mit präzisen Pässen optimal in Szene zu setzen. Dabei sind auch seine psychologischen Fähigkeiten gefragt. «Du musst das Spiel so aufziehen, dass alle Angreifer im Spiel drin sind», erklärt er.

Giger versucht instinktiv herauszufinden, welcher Spieler in welcher Situation prädestiniert ist, den Punkt zu machen – oder eben nicht. «Eigentlich bin ich dafür zuständig, dass die anderen gut aussehen», sagt er und lacht. «Ich fühle mich sehr wohl in dieser Rolle. Ich mache das schon seit Ewigkeiten.»

Vom Vater inspiriert

Mit neun Jahren hat Giger zum Volleyball gefunden, klassisch aus einer Volleyball-Familie. «Wir spielten schon als Kinder oft im Garten Volleyball. Mein Vater war mit Baden in der 1. Liga tätig.» Als Schönenwerd 2010 den Aufstieg in die NLA schafft, gehört Giger mit knapp 19 Jahren zum Team. «Als sich der Nummer-1-Passeur verletzte, sprang ich in den Playoffs ein und führte das Team im jungen Alter in die NLA», erinnert er sich. Mit dem Meistertitel 13 Jahre später hat sich für Giger «ein Kreis geschlossen.»

Nun steht der 32-jährige, der bis auf einen zweijährigen Abstecher zu Näfels und je einem Ausland-Jahr in Polen und Estland immer für Schönenwerd aufgelaufen ist, mit seinen Nationalmannschaftskollegen vor der historischen EM-Premiere. In der wohl stärksten Gruppe mit Weltmeister und Titelverteidiger Italien, Serbien, Deutschland, Belgien und Estland werden Giger und Co. ab Mittwoch stark gefordert sein.

«Wir haben keine Stars»

Die Vorfreude auf das Turnier ist gross, ein gewisser Respekt da. «Es wird spannend zu sehen sein, wie gut wir mithalten können», so Giger, der sich bewusst ist: «Wir sind den Gegnern physisch unterlegen.» Deshalb sei es wichtig, dass sie die technischen Details gut machen, möglichst wenig Fehler produzieren. «Wir haben keine Stars. Wir müssen im Team gut funktionieren, damit wir es schaffen, gegen die guten Mannschaften zu bestehen», erklärt Giger, der als Halbprofi in einem 50 Prozent Pensum in der IT-Security arbeitet.

Flexible Arbeitszeiten ermöglichen es ihm, Sport und Arbeit unter einen Hut zu bringen. In den nächsten Tagen gilt der Fokus jedoch voll dem Volleyball. «Mit der Nationalmannschaft ist nach der EM wahrscheinlich Schluss für mich», blickt er voraus.

Im Oktober wird Giger mit Schönenwerd in seine zehnte Saison steigen, dabei aber nur noch vier statt wie bisher sieben Mal pro Woche trainieren, dafür sein Arbeitspensum auf 80 Prozent erhöhen. Ans Aufhören denkt er aber noch nicht. «Solange ich Spass habe, spiele ich.»

Dass er den auch in den Duellen gegen Europas Elite hat, hängt nicht zuletzt davon ab, wie gut er seine Teamkollegen dank präziser Zuspiele aussehen lässt.