Noè Ponti verpasst über 100 m Schmetterling als Vierter eine Medaille, obwohl Silber-Gewinner Joshua Liendo wohl gegen die Regeln verstossen hat. Kriegt der Tessiner jetzt doch noch Bronze? SRF-Schwimm-Experte Tobias Gross ordnet ein.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Noè Ponti hat die Olympia-Medaille über 100 m Delfin als Vierter knapp verpasst.
- Ärgerlich für den Schweizer: Hätte man den Regelverstoss von Silber-Gewinner Joshua Liendo erkannt, hätte es womöglich doch noch Bronze gegeben.
- Liendo hat die Zeitmessung am Beckenrand nicht regelkonform ausgelöst. SRF-Schwimm-Experte Tobias Gross sagt zu blue Sport: «Die Richterin hätte das sehen müssen.»
- Die Schweizer wollen nun offenbar Rekurs einlegen. Gross: «Die Chancen sind aber extrem klein.»
Als wäre der vierte Rang für Noè Ponti über 100 m Schmetterling nach seinem suboptimalen Anschlag nicht schon genug ärgerlich gewesen, kommt nun ein weiterer Dämpfer hinzu. TV-Bilder zeigen, dass Silber-Gewinner Joshua Liendo im Final am Samstagabend die für die Zeitmessung am Beckenrand montierte Platte nicht ordnungsgemäss mit beiden Händen gleichzeitig berührte.
Der Kanadier hat die Einrichtung zuerst mit der linken und erst dann mit der rechten Hand touchiert. Die Wettkampfordnung schreibt vor, dass die Platte sowohl bei den Wenden als auch am Ziel mit beiden Händen gleichzeitig berührt werden muss.
Eine nachträgliche Anpassung der Rangliste beziehungsweise eine Disqualifikation Liendos wird es kaum geben. Das Reglement von World Aquatics besagt, dass ein Protest innert 30 Minuten nach Wettkampf-Ende deponiert werden muss. Das geschah nicht.
Doch wie konnte das passieren? Wie kann ein Verstoss gegen das Reglement unerkannt bleiben, wenn es um so viel geht und so viele Leute zusehen?
Tobias Gross war während der Schwimm-Wettbewerbe für SRF als Co-Kommentator vor Ort im Einsatz. Im Gespräch mit blue Sport erklärt er: «Wir haben uns voll auf den Kampf um Bronze konzentriert. Kristof Milak und Josh Liendo waren weit voraus, deshalb lag das Augenmerk auf Ponti und Ilya Kharun. Entsprechend war ich überrascht, dass das im Nachhinein nochmals zum Thema wird und man das Resultat nun anfechten will.»
«Ein klarer Fehlentscheid»
Liendos Anschlag sei unmittelbar nach dem Rennen auch überhaupt kein Thema gewesen. Auch beim Schweizer Team nicht, so der SRF-Schwimm-Experte. Niemandem scheint aufgefallen zu sein, dass der Anschlag des zweitplatzierten Kanadiers offenbar nicht regelkonform war.
Das sei auch nicht die Aufgabe von Pontis Team, dem Schweizer Schwimmverband oder Swiss Olympic. Gross nimmt die Richterin in die Pflicht, die Liendos Anschlag zu überprüfen hatte: «Die Richterinnen und Richter, die neben den Startblöcken stehen, haben zu diesem Zeitpunkt eine einzige Funktion. Sie müssen schauen, ob der Anschlag reglementskonform ist oder nicht. Und das war er klar nicht.»
Man gehe davon aus, dass ein Richter das melden würde, wenn er so etwas sehe. «Ich kann nicht sagen, weshalb das nicht passiert ist. Für mich ist es ein klarer Fehlentscheid. Das hätte man sehen müssen, auch wenn es natürlich ganz schnell ging», so der SRF-Schwimm-Experte weiter. Die TV-Bilder würden eine klare Sprache sprechen. «Ich will niemandem etwas unterstellen. Aber ich habe auch schon gehört, dass man bei grossen Namen auch mal etwas grosszügiger ist mit dem Reglement. Aber Liendo hätte aus meiner Sicht disqualifiziert werden müssen.»
Chancen stehen gleich null
In einer Mitteilung von Swiss Aquatics heisst es, dass man «in Absprache mit Swiss Olympic» dabei sei, «die Fakten zu untersuchen und die möglichen nächsten Schritte zu besprechen». Gross kann verstehen, dass die Schweizer alles versuchen wollen, damit Ponti doch noch zur Medaille kommt: «Wenn es um so viel Prestige geht, um eine Olympia-Medaille, musst du alles versuchen. In meinen Augen sind die Chancen aber extrem klein.»
Ohnehin glaubt Gross nicht, dass die Freude bei Noè Ponti gross wäre, würde er am Ende doch noch die Bronzemedaille bekommen. «Ganz ehrlich: Der andere war einfach schneller. Der Anschlag war nicht gut, aber Liendo hatte dadurch auch keinen Vorteil. Er war wohl einfach so erschöpft, dass er den Anschlag technisch nicht mehr sauber ausführen konnte. Wenn du aufgrund einer Disqualifikation eines anderen doch noch eine Medaille gewinnst, dich aber vier Tage lang als Vierter gefühlt hast, ist das keine grosse Genugtuung.»