Noè Ponti bereitet seine zweiten Olympischen Spiele in Tenero vor. «Hier habe ich alles, was ich brauche», so der Bronzemedaillen-Gewinner von Tokio 2021, der für Paris von noch Grösserem träumt.
Die Routine ist unumstösslich, vom Montag bis Samstag. Es ist also Punkt sieben Uhr, als Noè Ponti mit seinem Skateboard, die Haare unter einer Kapuze und Kopfhörer über den Ohren im Nationalen Sportzentrum ankommt. «Die Motivation ist nicht immer gleich gross, das ist klar», lacht der Tessiner, der die Nachrichtenagentur «Keystone-SDA» Anfang Juni empfangen hat.
«Ich denke, es gibt keinen Menschen, der immer hundertprozentig motiviert ist», führt Ponti aus. «Es ist normal, dass es Tage gibt, an denen man keine Lust hat, irgendetwas zu tun. Auch wenn man seinen Job liebt, bleibt man manchmal lieber im Bett. Es sind aber genau diese Tage, die einen als Athlet wachsen lassen.»
«Gut zu trainieren und stark zu sein, wenn es einem gut geht, ist jedem gegeben», erklärt Ponti. «Man muss in der Lage sein, den Unterschied an jenen Tagen zu machen, an denen man sich nicht so gut fühlt, an denen man nicht so motiviert ist. Dazu ist nicht jeder in der Lage, und deshalb macht das den Unterschied zwischen einem guten Athleten und einem Athleten der Weltspitze.»
Die Liebe zum Tessin
Ponti gehört zweifellos zur zweiten Kategorie. Dem Ausnahmetalent gelang in Tokio 2021 der grosse Durchbruch. Mit 20 Jahren gewann er damals seine erste internationale Medaille auf höchster Stufe. «Ich denke nicht, dass diese Medaille zu früh kam. Sie hat mein Leben nicht grundlegend verändert», erinnert er sich.
Ponti hatte vor seinem Exploit in Tokio entschieden, sich in den USA zu versuchen, in der North Carolina State University. Das Experiment brach er schon nach wenigen Monaten ab. Dort war er zu weit entfernt von seiner Familie und seinen Freunden und nur ein Schwimmer unter vielen anderen. Es war nicht die Umgebung, die er sich erhofft hatte.
«Ich bin glücklich, dass ich es versucht habe. Aber ich bin auch sehr froh, dass ich wieder zurückgekehrt bin, weil es nicht das Richtige war vor drei Jahren. Ich bin froh, dass ich nicht zu viel Zeit verloren haben, auch wenn es schön war, eine neue Kultur kennenzulernen», so der Schützling vom italienischen Trainer Massimo Meloni.
Kann er sich vorstellen, das Tessin irgendwann mal wieder zu verlassen? «Ich lasse alle Türen offen, schliesslich weiss ich nicht, was in zwei, drei, vier, fünf Jahren sein wird», sagt Ponti. «Ich würde gern meine Erfahrungen im Ausland machen, sei das während meiner Karriere oder danach.»
«Wenn ich eine Veränderung nötig hätte, eine neue Motivation in meiner Karriere als Athlet, dann müsste ich etwas ändern. Aber im Moment geht alles gut», lächelt Ponti. «Hier habe ich alles, was ich brauche, Meine Familie ist hier, meine Trainer sind hier und mein Schwimmbad ist hier. Es ist wirklich der perfekte Ort, um im Hinblick auf etwas Grosses zu trainieren. Das Wichtigste ist für einen Sportler an einem Ort zu trainieren, wo er sich wohlfühlt.»
«Natürlich bin ich nicht immer hier, oft bin ich im Ausland. Aber hier fühle ich mich zuhause», so Ponti, der nur wenige Skateboard-Minuten vom Schwimmbad in Tenero entfernt wohnt. «Es ist der beste Ort, um meine Batterien wieder aufzuladen, vor allem auch mental.»
Der Druck und der Energie-Haushalt
Die Sportart Schwimmen ist nicht nur physisch ungemein anspruchsvoll, sondern auch und speziell in mentaler Hinsicht. «Wenn man beginnt, gute Resultate zu haben, kommt automatisch der Druck. Vor allem von Seiten der Medien und der Fans.» Der Druck ist umso grösser, je näher die Olympischen Spiele rücken. «Nicht an die Spiele zu denken, ist unmöglich. Wenn man nicht Fussball oder Eishockey betreibt, sind die Spiele das Grösste, und sie finden nur alle vier Jahre statt.»
«Man muss sein Bestes geben, um den Druck kleinzuhalten. Wichtig ist, dass man ihn unter Kontrolle hält, was mir in der Vergangenheit nicht immer gelungen ist. Aber mit der Erfahrung kommt diese Fähigkeit langsam», sagt Ponti, der weiterhin auf eine WM-Medaille im grossen Becken wartet. «Manchmal ist man nervöser oder spürt das Adrenalin mehr. Man muss wissen, wie man dann den Kurs hält und normal trainiert.»
«Das Wichtigste ist, bei den Olympischen Spielen mental bei 100 Prozent zu sein, auch wenn man physisch nur bei 95 ist», findet Ponti, der auf einen Mentaltrainer zurückgreift. «Momentan arbeite ich vor allem daran, meinen Energie-Haushalt zu kontrollieren, sodass ich meine Batterien aufladen kann, egal unter welchen Umständen.» Meditation hilft ihm dabei. «Ich kann mich dann ganz auf mich konzentrieren. Sie hilft mir auch, meine Rennen in Paris zu visualisieren.»
Keine Garantie
Ob Ponti einen Podestplatz visualisiert, lässt er offen. Aber er macht kein Geheimnis um seine Ambitionen. Mit einer Zeit von 50,16 Sekunden ist er über 100 m Delfin der zweitschnellste weltweit in diesem Jahr. «Das gibt dir aber keinerlei Garantie», relativiert er die Ausgangslage für die Sommerspiele. «Aber wir arbeiten, um in Paris das Maximum herauszuholen. Die schwierigste Etappe wird der Halbfinal sein. Danach ist im Final wirklich alles möglich. Ich hoffe einfach, dass ich das Bestmögliche geben kann.»