Der Olympia-Modus stösst nicht bei allen Reitern auf Gegenliebe. Er begünstigt Dramen und Überraschungen.
Im Springreiten ist an Olympischen Spielen vieles anders als an Weltmeisterschaften, Weltcup-Finals oder Europameisterschaften. In Tokio beginnt jeder Tag bei null. Während an den traditionellen Championnats fünf Durchgänge in die Wertung kommen – Jagdspringen, zwei Umgänge Team, zwei Umgänge Einzel – und so die Spreu vom Weizen getrennt wird, ist in Japan ein Lucky Punch möglich, zumal im Team-Event noch das Streichresultat entfällt.
Nach der Qualifikation vom Dienstag im Einzel starten die Top 30 am Mittwoch ohne Strafpunkte. Und auch die zehn Nationen im Team-Final vom Samstag nehmen keinen Vorsprung oder kein Handicap aus der Qualifikation vom Vortag mit.
Fuchs: «Ich reite immer auf null»
«Meine Meinung ist bekannt, aber es ist jetzt hier in Tokio nicht der Zeitpunkt, dies zu diskutieren», sagt Steve Guerdat. «Egal welches Format, du musst immer ohne Fehler reiten», beendet der Olympiasieger von London 2012 die Diskussion zu diesem Thema.
Martin Fuchs schlägt ähnliche Töne an: «Auf meine Taktik hat das Format keinen Einfluss. Ich reite immer auf null.» Der Europameister will nichts wissen von einem Sicherheitsritt in der Qualifikation. «Wenn du einen Abwurf in Kauf nimmst, hast du rasch auch deren zwei.»
Am bislang letzten globalen Freiluft-Championat, den Weltmeisterschaften 2018 in Tryon in den USA, hatten Fuchs und Guerdat Silber und Bronze gewonnen. Und auch in der Weltrangliste belegen sie in dieser Reihenfolge die Plätze 2 und 3 hinter dem Deutschen Daniel Deusser. Ihre Chancen wären in einem fünfteiligen Event wohl noch grösser gewesen.
Gold-Coup eines Aussenseiters?
Letztlich wurde nie ganz klar, wer nun federführend den neuen Modus durchdrückte. Aber das IOC, der Weltverband der Reiter und die TV-Anstalten sind mehr Dramen und Überraschungen nicht abgeneigt. Jetzt entschiedet die Tagesform. Am Mittwoch muss theoretisch ein Aussenseiter nur einen Umgang ohne Fehler reiten und gewinnt Gold, sofern alle anderen scheitern.
In der Team-Wertung fällt das Streichresultat weg, alle drei Paare werden gewertet. Dies öffnet Dramen Tür und Tor. Sofern ein Pferd einer Top-Nation verweigert, reisst es die ganze Equipe in den Abgrund.
Die Reduktion auf drei Paare ohne Streichresultate hat der Weltverband FEI lanciert. Er will mit diesem Schritt die Anzahl der Flaggen im Reitstadion erhöhen. Die FEI ermöglicht Nationen die Teilnahme an Olympischen Spielen, die bislang nur davon geträumt haben.
Die Diskussion pro und contra Streichresultat läuft allerdings schon seit längerer Zeit. Sie flammt immer dann wieder auf, wenn ein Reiter den Parcours nicht beendet und dann trotzdem eine Medaille erhält, weil die Teamkollegen die Scharte ausgewetzt haben.