Kunstturner Pablo Brägger Pablo Brägger sagt Adieu: «So aufzuhören ist beinahe ein Traum»

sda

26.7.2021 - 23:00

Pablo Brägger legte zum Abschluss seiner Karriere im Teamfinal in Tokio einen tadellosen Wettkampf hin.
Pablo Brägger legte zum Abschluss seiner Karriere im Teamfinal in Tokio einen tadellosen Wettkampf hin.
Keystone

Pablo Brägger bestritt beim starken 6. Rang im Team-Final in Tokio seinen letzten Wettkampf. Für den 28-jährigen St. Galler war es der perfekte Abschluss einer eindrucksvollen Karriere.

Keystone-SDA, sda

Als er seine Übung an den Ringen in den sicheren Stand gebracht hatte, strahlte Pablo Brägger über alle Backen. Zwar hatten Christian Baumann und Eddy Yusof ihre Übung am Schlussgerät noch vor sich, doch der 6. Schlussrang war den Schweizern nicht mehr zu nehmen. Zu souverän traten sie an diesem Abend im Ariake Gymnastics Centre auf, zu fokussiert erledigten sie ihren Job – mit der nötigen Lockerheit, vor allem aber auch mit viel Spass an der Sache.



Als er vom Podium herunterkletterte, sei es ihm bewusst geworden, dass es das gewesen war, sagte Brägger später. «Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Ich wurde emotional.» Die Teamkollegen gratulierten ihm mit einer herzlichen Umarmung, besonders innig fiel diese mit Assistenztrainer Claudio Capelli aus, der mit Brägger selbst noch geturnt hatte. «Für mich ist es der perfekte Abschluss. So aufzuhören ist beinahe ein Traum.»

Mit dem Ostschweizer tritt einer der erfolgreichsten Kunstturner in den Ruhestand. Aber nicht nur sportlich, auch menschlich hinterlässt er eine Lücke. «Er ist ein hochanständiger Typ und war immer auf dem Boden geblieben», sagte David Huser, seit diesem Frühling Chef Spitzensport im STV. Darum sei Brägger auch bei allen beliebt. «Er hat einen gesunden Ehrgeiz und war immer hochprofessionell.»

Das Gesicht einer Generation

Brägger war das Gesicht der erfolgreichsten Generation seit der Ära mit Sepp Stalder, Jack Günthard oder Hans Eugster in den Fünfzigerjahren. Oft war er auch Vorreiter. Nach der EM-Silbermedaille von Lucas Fischer 2013 in Moskau war es Brägger, der den Bann dieses Teams brach, das sein Talent mit dem Gewinn der Silbermedaille an den Junioren-EM 2010 in Birmingham früh angedeutet hatte.

An den Europameisterschaften 2015 in Montpellier holte Brägger Bronze am Boden, ehe Baumann tags darauf am Barren nachdoppelte. Zwei Jahre später war es wiederum Brägger, der sich am Reck zum Europameister krönte – als erster Schweizer seit Günthard 1957. Ein Jahr später tat es ihm Oliver Hegi gleich.

Seit 2015 gewann die STV-Riege zehn EM-Medaillen, mit Team-Bronze 2016 an der Heim-EM in Bern schaffte sie gar Historisches. Es war die erste EM-Medaille in einem Team-Wettkampf überhaupt. Der Erfolg war keine Eintagesfliege, vier Mal in Folge erreichte die Schweiz zuletzt an Weltmeisterschaften den Team-Final, zweimal qualifizierte sie sich für Olympische Spiele.

Das Reck als Fluch und Segen

Bräggers grösster Erfolg war der EM-Titel am Reck. Nie mehr kam er der Perfektion so nahe wie in an jenem sonnigen Frühlingstag 2017 in Cluj-Napoca, als er nach einer spektakulären Flugshow eine perfekte Landung hinlegte. «Es gab aber viele coole Momente», so Brägger. Er sei stolz auf seine Karriere, «aber ich brauche wohl noch ein paar Wochen, um alles genau einordnen zu können».

Sein Lieblingsgerät war für Brägger aber nicht nur Segen. Am Reck erlebte er auch die grössten Enttäuschungen seiner Karriere. Vor allem auf der globalen Bühne wollte es nie so richtig klappen, öfters verliess er das Gerät als Geschlagener. Zuletzt an der Heim-EM in Basel oder in der Qualifikation in Tokio, als er die Stange nicht zu fassen kriegte und hart auf der Matte landete.

Auch das Quäntchen Glück fehlte gelegentlich. In seinem einzigen WM-Final 2017 in Montreal wurde er trotz eines groben Fehlers Vierter, 2015 verpasste er den Einzug in die Medaillenentscheidung hauchdünn, auch an den Spielen Rio schied er als Neunter aus.

«Reck ist Reck», sagte Brägger. Der Misserfolg gehöre dazu. Nach seinem Erfolg 2017 seien die eigenen Erwartungen, aber auch die des Umfelds und der Öffentlichkeit gestiegen. Diese mental auszublenden sei nicht immer einfach gewesen. «Diesen mentalen Challenge werde ich nicht vermissen.» Und das Gefühl beim Aufstehen am Tag nach dem Wettkampf auch nicht. Im September startet er seine Ausbildung zum Physiotherapeuten. «Dann beginnt ein neuer Lebensabschnitt.»


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