Mikaela Shiffrin will ihren Nummer-1-Status im Weltcup der Frauen beibehalten. Den Weg zur Allrounderin verfolgt sie noch intensiver.
«Ich bin bereit für den Winter.» Es sind banale Worte, die Mikaela Shiffrin im Vorfeld des Weltcup-Prologs am Wochenende in Sölden von sich gibt. Sie sagt es mit einem Lächeln und mit dem Selbstverständnis einer hochdekorierten Seriensiegerin. Aus ihren Worten sprechen Lockerheit, Zuversicht und Selbstvertrauen.
Mikaela Shiffrin will aber noch mehr sagen. Es soll ein Wink an die Konkurrenz sein. Bereit sein heisst für die Gesamtweltcup-Siegerin der vergangenen zwei Saisons, eine perfekte Vorbereitung und «einen guten Sommer» hinter sich zu haben. Bereit sein heisst für sie ausserdem, sich am eigenen hohen Leistungsniveau orientieren zu können.
Sommer mit Formel 1 und Federer
Der «gute Sommer» bescherte Mikaela Shiffrin besondere Momente. Mit ihrem Freund, dem französischen Riesenslalom-Spezialisten Mathieu Faivre, war sie beim Formel-1-Grand-Prix von Frankreich in Le Castellet, und sie verfolgte mit ihm auch den Final zwischen Rafael Nadal und Dominic Thiem beim French Open in Roland Garros vor Ort. Und sie war Gast beim Tennis-Teamevent um den Laver Cup in Chicago, bei dem sie zum ersten Mal Roger Federer getroffen hat.
Die vielen Verpflichtungen für Sponsoren und Partner sieht Mikaela Shiffrin nicht als Belastung, sondern als Abwechslung zu ihrem beruflichen Alltag. Die Ausgewogenheit in ihrem Terminkalender ist trotz der Präsenz in der Öffentlichkeit gewährleistet. Das eine tun und das andere nicht lassen – die Amerikanerin beherrscht auch den Spagat zwischen Arbeit und Freizeit perfekt. Sie habe alles unter Kontrolle, sagt sie.
Gute Strukturen sind unabdingbar beim Pensum, das sich Mikaela Shiffrin auferlegt hat. Die letzten Schritte zur Allrounderin fordern und sind mit immensem Aufwand verbunden. Die 23-Jährige aus Colorado ist sich sicher, der grossen Herausforderung gewachsen zu sein. Sie weiss aber auch, dass das Vorhaben kein Selbstläufer sein wird. Das Vorbereitungsprogramm hat sie entsprechend angepasst und unter anderem das Super-G-Training intensiviert. In El Colorado in Chile hat sie sich für ein paar Tage ihren Kolleginnen aus dem amerikanischen Speed-Team angeschlossen. Der Super-G ist die einzige Disziplin, in der Mikaela Shiffrin im Weltcup noch sieglos ist.
Prioritäten und Ziele
Diese allerletzte Lücke in ihrem Palmares will sie natürlich schliessen. Priorität räumt sie diesem Ziel indes nicht ein. «Ich weiss nicht, ob mir dieser Sieg in diesem Winter gelingt. Es ist möglich, aber ich erwarte es nicht. Ich hoffe vielmehr, eines Tages stark genug zu sein, um in allen Disziplinen gewinnen zu können.»
Mikaela Shiffrins vorrangiges Ziel bezieht sich nicht auf die Ergebnisse. Sie legt mehr Wert auf ihre Weiterentwicklung als Skirennfahrerin, auf die Verfeinerung der Technik oder die Steigerung der Konstanz. Diese Beständigkeit habe ihr im letzten Winter im Riesenslalom gefehlt. Sie hofft, in dieser Hinsicht die nötigen Schritte in der Vorbereitung gemacht zu haben - und kommt dann doch auf ihre resultatbezogenen Ziele zu sprechen. «Den Disziplinen-Weltcup im Riesenslalom würde ich sehr gerne ein erstes Mal gewinnen. Dazu natürlich die Kugel im Slalom und den grossen Pokal für die Gesamtwertung.»
Nicht minder hoch sind Mikaela Shiffrins Ansprüche in Bezug auf die Weltmeisterschaften im Februar in Are. Unter anderem nimmt sie in Schweden den vierten Titel im Slalom in Folge ins Visier. Daneben sind Starts im Riesenslalom und in der Kombination vorgesehen. Ob sie auch im Team-Event und in den Speed-Disziplinen antreten wird, lässt Mikaela Shiffrin offen. Darüber wird sie kurzfristig entscheiden - auch aufgrund ihrer Erfahrungen im Weltcup.
Verschiebung und Enttäuschung
Kurzfristig entscheiden, sich anpassen, spontan reagieren - das will Mikaela Shiffrin in Zukunft noch vermehrt tun. Die Erfahrung rund um den Slalom bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang sind ihr Lehre genug. In Südkorea war sie mit der Verschiebung des Rennens nicht klar gekommen. Statt des erwarteten zweiten Goldes in ihrer Paradedisziplin blieben Platz 4 und die grösste Enttäuschung in der bisher so gradlinig verlaufenen Karriere.
«Ich muss lernen, mit solchen Situationen umgehen zu können», sagt Mikaela Shiffrin. Sie wird es lernen, ganz sicher. Und dann erst recht bereit sein für den anstehenden Winter.