Hannes Reichelt hat noch lange nicht genug. Der 38-jährige Österreicher erstickt Gedanken an den Rücktritt im Keim.
Er fährt und fährt und fährt. Er tut es immer noch gut - zu gut, um es nicht mehr zu tun. Hannes Reichelt ist auch im fortgeschrittenen Alter mit Leib und Seele Skirennfahrer. Für ihn gibt es auch 17 Saisons nach dem Debüt im Weltcup nichts Schöneres und Erfüllenderes, als im Wettkampf mit der grösstenteils viel jüngeren Konkurrenz über die Pisten zu brettern. Die Freude an seiner Arbeit scheint bei ihm greifbar. Ohne harte Arbeit gewinnt zwar auch er keinen Blumentopf. Doch Spitzensportler zu sein bedeutet für ihn vorab Genuss.
Das Verständnis der Frau
Geniessen kann, wer sich wohl fühlt. Wohl fühlt sich, wer mit sich in allen Lebenslagen im Reinen ist. Reichelt kann das von sich behaupten. Er spricht vom Glück, dass ihm zu Hause Verständnis für seine Leidenschaft entgegengebracht wird. Ehefrau Larissa, mit der er seit gut zwei Jahren verheiratet ist, kann sich sehr gut in seine Lage versetzen. Die Südtirolerin, die in einem Spital in Schwarzach im Pongau als Ärztin tätig ist, war ebenfalls Skirennfahrerin und hatte unter ihrem Mädchennamen Hofer einige Weltcup-Rennen bestritten.
Reichelt fühlt sich in diesen Tagen besonders wohl. Beaver Creek, wo der Weltcup-Tross zurzeit gastiert, gehört zu seinen bevorzugten Destinationen im Kalender. Das Wohlbefinden wirkt leistungsfördernd. Schon dreimal hat Reichelt im Nobelort in Colorado einen Super-G im Rahmen des Weltcups gewonnen. Dazu ist er dort vor gut dreieinhalb Jahren in dieser Disziplin Weltmeister geworden.
Kein zeitlicher Horizont
Mit seinem anhaltend hohen Leistungsniveau erweckt Reichelt den Eindruck, das Älterwerden auf unbestimmte Zeit verschoben zu haben. Gedanken an den Rücktritt verschwendet er nicht einmal ansatzweise. Einen zeitlichen Horizont als Skirennfahrer hat sich er sich nicht gesetzt. Mit dem Ende seiner Karriere beschäftigt er sich nur, wenn das Thema an ihn herangetragen wird. Auf entsprechende Fragen reagiert er mit dem Hinweis, nach wie vor konkurrenzfähig und fit genug für das Leben am sportlichen Limit zu sein.
Fit genug war Reichelt nicht immer. Auch er blieb von Nebenwirkungen nicht verschont. Unter anderem musste er sich zweimal einer Bandscheiben-Operation unterziehen, das erste Mal Ende Januar 2014, einen Tag nach seinem Sieg in der Hahnenkamm-Abfahrt in Kitzbühel, das zweite Mal im vorletzten September. Zumindest nach dem zweiten Eingriff hätte es nicht erstaunt, hätte sich Reichelt aus der Rennszene zurückgezogen. Doch die Lust am Rasen war noch zu gross. Es blieb beim Konjunktiv.
Der Verzicht auf Riesenslaloms
Veränderungen brachten die zwei Operationen gleichwohl mit sich. Auf Einsätze im Riesenslalom verzichtet Reichelt mittlerweile. Zwei Tage Training auf einer harten Piste wären zuviel. «Da spüre ich den Rücken. Es ist lediglich ein muskuläres Problem. Trotzdem kann ich nicht mehr in jenem Umfang trainieren wie noch vor zehn Jahren. Im normalen Leben bin ich aber schmerzfrei.» Der Zahn der Zeit nagt also doch ein wenig.
Wenn Reichelt dereinst dann doch zurücktritt, hat er klare Vorstellungen für die Zeit danach. Das angedachte Wirtschaftsstudium will er «auf jeden Fall» in Angriff nehmen, seine berufliche Zukunft sieht er «in irgendeiner Form weiterhin im Skirennsport». Die Ausbildung zum Berufspiloten dagegen wird er nach der vor Jahren erlangten Lizenz als Privatpilot nicht weiter vorantreiben. Den Weg zum Captain hätte er früher einschlagen müssen. Die Fluggesellschaften haben die Obergrenze, so weiss er, für Neueinsteiger im Cockpit auf 35 Jahre festgelegt.
Der ewig junge Hannes Reichelt zu alt? Kaum zu glauben.