Mauro Caviezel ist wieder da. Der 34-jährige Bündner kehrt nach langer Pause wegen Sehstörungen auf die Rennpiste zurück.
Es war Anfang Januar im vergangenen Jahr, als Mauro Caviezel seine ohnehin lange Krankenakte um einen Eintrag ergänzen musste. Der Bündner hatte bei einem Sturz im Training in Garmisch-Partenkirchen im linken Knie eine Aussenbandverletzung und eine Knochenprellung und, vor allem, eine schwere Gehirnerschütterung erlitten.
Die Folgen des neuesten Malheurs schienen vorerst nicht allzu gravierend zu sein. Caviezel stand fünf Wochen später bei der WM in Cortina d'Ampezzo am Start des Super-G. Nach dem Ausscheiden in einem Rennen mit sonderbarer Kurssetzung reiste er jedoch ohne weiteren Einsatz heim. «Ich habe gemerkt, dass noch nicht alles stimmt.»
Drei Wochen danach unternahm Caviezel den nächsten Versuch für eine Rückkehr. Er bestritt das erste Training für die Abfahrt in Saalbach-Hinterglemm. Auf die zweite Übungsfahrt verzichtete er – und wurde fortan auf den Rennpisten nicht mehr gesehen.
Probleme bei tiefer Hocke
Die Hirnerschütterung hatte Sehstörungen zur Folge, die beim Fahren in der Hocke-Position auftraten. «Wenn ich in tiefer Hocke mit Blick nach oben war und lange etwas fokussieren musste, war meine Sehschärfe nach einer gewissen Zeit eingeschränkt», versucht der Pechvogel das körperliche Defizit in einfachen Worten zu erklären.
Für den von vielen Verletzungen gepeinigten Athleten begann eine neue Art der Rekonvaleszenz nach einer Verletzung, zu deren Verlauf und Folgen ihm die Erfahrung fehlte. Es begann eine Zeit der Ungewissheit und der ganz kleinen Schritte zurück in die gefühlte Normalität. Vom Ungeduldigen war Geduld gefragt.
Caviezel nahm den Kampf an, begleitet von allem Anfang an von der Hoffnung auf die Wende zum Guten. Noch im vergangenen Winter hatte er über die Möglichkeit sinniert, in den Rennalltag zurückkehren zu können. «Die Ärzte hatten mir Mut gemacht, dass sich eine Besserung schlagartig einstellen könnte. Zu Beginn der letzten Saison waren mein Ski mit dem Material nach Nordamerika verfrachtet worden, dann glaubte ich an einen Renneinsatz noch vor den Olympischen Spielen. Ich fieberte stets mit zuhause. Ich wollte bereit sein im Fall der Fälle.»
Der Fall trat noch nicht ein. Trotz der Tiefschläge liess sich Caviezel nicht entmutigen. Er wollte zurück, er versuchte alles in seiner Macht Stehende, um wieder Skirennfahrer zu sein. Er sah den Zeitpunkt noch nicht gekommen, um seiner Leidenschaft den Rücken zu kehren. Ein langer Prozess begann, der umso schwieriger war ohne die Gewissheit auf ein glückliches Ende.
Den Marathon durch die Behandlungsräume begann er bei seinem Manual-Therapeuten Rolf Fischer, er arbeitete mit der medizinischen Abteilung von Swiss-Ski zusammen, suchte ein Center für Patienten mit Hirnerschütterungen auf, erhoffte sich Hilfe bei Spezialisten der Oral-Therapie, der Sport-Optimetrie und fürs Neuro-Athletik-Training.
Behandlung bei Marquez' Vertrauensarzt
Am Ende führte ihn der langwierige Prozess nach Barcelona, zu einem Vertrauensarzt des achtfachen Motorrad-Weltmeisters Marc Marquez, bei dem einst eine ähnliche Verletzung diagnostiziert worden war. «Aus den Medien hatte ich von Marquez' früheren Problemen erfahren.» Dann begann das Beziehungsnetz zu spielen.
Caviezels jüngerer Bruder Gino sprach Justin Murisier darauf an. Der Walliser ist ein Bekannter von Dani Pedrosa, einem weiteren früheren Motorrad-Weltmeister, der natürlich Marquez bestens kennt. Der Weg ins nächste Therapie-Zimmer war geebnet. «Es war ein wichtiger Schritt, aber nicht die Lösung allein. Entscheidend war das Zusammenwirken aller Faktoren und der verschiedenen Behandlungen. Die Gesamtheit half mir.»
All die Therapien haben so gut geholfen, dass sich Caviezel bereit fühlt für die Rückkehr. Er war schon fest entschlossen, bei der Premiere mit den zwei Abfahrten in Zermatt/Cervinia dabei zu sein – jetzt, vier Wochen später in Lake Louise in Kanada, umso mehr. Trotz der guten Perspektiven und der eigenen Überzeugung, den letzten Schritt nach der langen Absenz auch noch machen zu können, bleiben verständlicherweise Zweifel.
«Der Gedanke, dass es nie mehr so sein wird wie vor dem Sturz, ist immer präsent. Aber ich weiss, wie es vor einem Jahr war und was ich jetzt habe. Ich sehe zumindest die Chance, dass es wieder gut kommt. Ich bin voller Zuversicht, dass es in die richtige Richtung geht.»
Caviezel will die jüngste Vergangenheit hinter sich lassen. Für ihn zählen jetzt die Tage in der kanadischen Provinz Alberta. Anfang Januar letzten Jahres soll bald nur noch ein Eintrag in der Krankenakte sein.